Alban Berg
Schließe mir die Augen beide
Kurz-Instrumentierung: 1 1 2 1 - 1 1 1 0 - Solo-Vl I, Solo-Vl II, Solo-Va, 2 Vc, Solo-Kb
Dauer: 1'
Bearbeitet von: Chris Gordon
Text von: Theodor Storm
Übersetzer: Eric Smith
Solisten:
Gesang
Instrumentierungsdetails:
Flöte
Oboe
1. Klarinette in B
2. Klarinette in B
Fagott
Horn in F
Trompete in B
Tenorposaune
Solo-Violine I
Solo-Violine II
Solo-Bratsche
2 Violoncelli
Solo-Kontrabass
Berg - Schließe mir die Augen beide für höhere Stimme und Orchester
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Werkeinführung
Bergs Orchesterversionen seiner „7 frühen Lieder“ sind beim Publikum seit jeher bliebt. Sie gelten als leuchtendes Beispiele seiner jugendlichen Kompositionskunst: Von der naiven Schlichtheit, die Im Zimmer (Johannes Schlaf) ausstrahlt bis zum überzogenen Schwelgen in Sommertage (Paul Hohenberg) haben sie ihre Zuhörer inspiriert und begeistert. Es überrascht nicht, dass sie Bergs Frau Helene gewidmet sind, denn sie schätzte das Werk sehr, genau wie es Konzertbesucher heute tun.
Rudolf Stephan schreibt im Vorwort zur neuen Ausgabe der 7 frühen Lieder, die in der Universal Edition erschienen ist, dass Berg 1917 einige Lieder zusammengestellte, um sie seiner Frau Helene zum 10. Hochzeitstag zu schenken. Es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass sich darunter neben den 7 frühen Liedern auch An Leukon, Die Sorglichen und Schließe mir die Augen beide befanden. Zehn Jahre später, 1927, arrangierte er die sieben Lieder aus der ursprünglichen Sammlung für Orchester. Wieso aber waren es sieben Lieder und nicht zehn? Für mich ist der Grund klar: Im Jahr 1927 hatte er bereits eine „romantische Beziehung“ zu Hanna Fuchs-Robettin (geborene Werfel), der Schwägerin von Gustav Mahlers Witwe Alma. Alma war in dritter Ehe mit Hannas Bruder, dem Autor und Dramatiker Franz Werfel verheiratet. Berg widmete die Nummer 10 dieser Lieder ihrer Beziehung. Ich bin der Ansicht, dass Berg An Leukon, Die Sorglichen und Schließe mir die Augen beide deswegen weggelassen hat, weil die 7 frühen Lieder ein Geschenk an seine Frau Helene waren (sie sind ihr – „Meiner Helene“ – gewidmet). Alle 10 Lieder hätten in seinen Augen auch Hanna als Adressatin miteingeschlossen. In Bergs Code repräsentierten diese Lieder „HBA“ (also Helene und ihn) und nicht „HFAB“ (Hanna und Alban). Das letzte Lied, Sommertage, ist von ihren kombinierten Initialen – HBA und HA – durchzogen. Und was ist mit der Nummer 7? Ich denke, dass sie das Jahr repräsentiert, in dem sie sich kennen lernten, 1907.
Wir dürfen auch nicht vergessen, welche Bedeutung Bergs Lehrer und Vaterfigur Arnold Schönberg für dieses Werk hatte. Der letzte Akkord des letzten der sieben Lieder, Sommertage, steht in c-Moll. Die Mitte dieses Akkords bildet ein ES, gesprochen der Buchstabe „S“, der für SCHÖNBERG steht.
Die Entdeckung von An Leukon, das in Willi Reichs kleiner Berg-Biografie aus dem Jahr 1937 veröffentlicht wurde, kam einem Fund von Dublonen gleich, die auf einer tropischen Insel vergraben liegen! Und bis die Universal Edition Bergs Frühe Lieder 1980 in zwei Bänden veröffentlichte, verging noch eine lange Zeit. Ich konnte die Magie ihrer zart pulsierenden Kraft spüren, die von tiefer Liebe sprach und von Harmonien überdeckt war, die ansonsten unscheinbar wirkten. Erst, als die Universal Edition 2006 meine Orchesterversion von An Leukon veröffentlichte, erkannte ich den versteckten Code in diesem Stück. Nach ein wenig detektivischer Arbeit glaube ich, das Rätsel gelöst zu haben und zu wissen, wieso Helene Willi Reich erlaubte, dieses Lied in seinem Buch zu veröffentlichen. Helene Berg hatte ihrem Mann versprochen, die Frühen Lieder (es gibt etwa 100 davon) nie zu veröffentlichen, und bis auf eine Ausnahme hatte sie sich auch an dieses Versprechen gehalten. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1976 blieben sie in einer Schachtel unter ihrem Bett versteckt. Die ganze Geschichte von „An Leukon – Eine schwierige Entscheidung“
Die Orchestrierung der drei weiteren Lieder folgte schon bald nach An Leukon. Die Sorglichen (Gustav Falke) gab selbst einige Geheimnisse preis. Was den humoristischen Text und die Gliederung des Lieds betrifft, ist die Ähnlichkeit zu Arnold Schönbergs Lied Galathea (Frank Wedekind), das Schönberg 1900/1901 als Teil einer Liederserie für das Berliner Kabarett Überbrettl komponiert hatte, zu auffällig, als dass sie durch Zufall entstanden sein könnte. Es ist verblüffend, aber Berg scheint ein Kabarett-Lied komponiert zu haben! Ich sehe das Lied eher als komisches Lied, als „Plapperlied“. In seinem Herzen steckt allerdings ein dunkles, vielleicht sogar erschütterndes Geheimnis. Wieso sollte uns das überraschen? Berg liebte die Schmierenkomödie, so wie er auch herzergreifende Tragödien liebte. Für ihn war das Leben im Sinne Mahlers eine Mischung aus Licht und Schatten, aus Freude und Reue.
Schließe mir die Augen beide (Theodor Storm), dessen Klavierausgabe mit Bergs späterer Serienfassung (1925) verbunden ist, war eine Bezeugung seiner Liebe zu Helene. In diesem Lied hört man, wie die Hand eines Liebenden langsam den Schmerz lindert. Ich habe versucht, dieses Bild in meiner Orchestrierung zu vermitteln – ein Bild, das Storm in seinem kleinen Gedicht so wunderschön zeichnet. Wellen des Schmerzes, die sich nach und nach in Nichts auflösen.
Und dann ist da noch Das stille Königreich (Karl Busse), ein weiteres Juwel aus der Feder Bergs. Hier versucht er sich an Schönbergs Technik, in der ein Lied auf einem winzigen Motiv beruht. In Das stille Königreich besteht dieses Motiv aus 3 Noten – ein Ganzton, gefolgt von einer großen Terz. Diese drei Noten werden im Lied dann transponiert, umgedreht und erklingen von hinten nach vorne. Als dieses Lied komponiert wurde, handelte es sich dabei um eine brandneue Technik, und sie dient als vereinende Klammer. Der Text von Karl Busse ist die Träumerei eines jungen Menschen, eine Flucht aus der Realität. Ein Zufluchtsort, wenn das Leben zu komplex erscheint. Wer hat davon nicht schon von Zeit zu Zeit geträumt?
Durch die Veröffentlichung von An Leukon, Die Sorglichen und Schließe mir die Augen beide ließ die Universal Edition Alban Bergs Geschenk an seine Frau wiederaufleben. Er liebte sie seit ihrer ersten Begegnung im kaiserlich-königlichen Hof-Operntheater in Wien im Jahr 1907 (Mahlers letzte Saison als Operndirektor), bis sie durch Albans Tod am 24. Dezember 1935 getrennt wurden.
Diese drei Lieder und Das stille Königreich repräsentieren verschiedene Aspekte von Bergs reifender musikalischer Persönlichkeit. Zwei davon richten sich an „seine Helene“ und seine unsterbliche Liebe zu ihr – das war 1917, also zu einer Zeit, als seine Gefühle zu ihr tiefer wurden. Doch in diesen Liedern bringt er auch zum Ausdruck, dass er wissen muss, dass auch ihre Gefühle für ihn tiefer werden.
Diese vier Lieder erscheinen jetzt für hohe oder mittlere Stimme, wie auch das von Berg orchestrierte Original, 7 frühe Lieder. Im September 2008 veröffentlichte die Universal Edition 7 frühe Lieder für mittlere Stimme, in einem Arrangement von Heinz Stolba (UE 33931). In dieser Ausgabe wird die Integrität von Bergs Zyklus erhalten, indem alle Lieder eine kleine Terz tiefer transponiert wurden. Die vier zusätzlichen Lieder erscheinen ebenfalls für hohe Stimme oder, eine kleine Terz tiefer, für mittlere Stimme. Die einzige Ausnahme stellt Das stille Königreich dar, das für mittlere Stimme in der Originaltonart g-Moll und für hohe Stimme in a-Moll steht, also um einen Ganzton höher.
© Chris Gordon 2010