Ernst Krenek
Der Triumph der Empfindsamkeit
Dauer: -'
Krenek - Der Triumph der Empfindsamkeit für Orchester
Werkeinführung
Eine relativ ehrgeizige Arbeit war die Bühnenmusik zu Goethes Triumph der Empfindsamkeit. Ich hatte das Stück für die Kammeropernreihe vorgeschlagen, denn ich hatte es immer sehr gern gehabt. Es ist eine eigenartige Satire, die Goethe nach seiner Konversion zum Klassizismus geschrieben hatte, um die gefühlsmäßig überspannten literarischen Bemühungen seiner jugendlichen Phase des Sturm und Drang zu karikieren. Die Hauptfigur war ein Fürst, der so vornehm und sensibel war, dass die echte Natur seinem Bedürfnis nach sentimentalen Ergüssen nicht genügte, weil sie viel zu roh und barbarisch war. Deshalb trug er eine künstliche Natur mit sich herum, Schachteln, aus denen Wasserfälle herauskamen, Nachtigallen und Mondlicht und alles, was ein romantisches Herz begehrte. Inmitten seiner ausgeklügelten Apparaturen sitzend, wandte er sich an das Objekt seiner Leidenschaft, die Gemahlin eines ihm bekannten Königs. Diese Königin litt gleichfalls an der romantischen Krankheit der Empfindsamkeit und liebte es, schwer geprüfte Heldinnen der Mythologie darzustellen. Das war die Rechtfertigung für einen ganz herrlichen und völlig ernstgemeinten Monolog, in dem sie das Schicksal der Proserpina, der unglücklichen Göttin der Unterwelt, nachspielte. Schließlich ersannen drei kluge, junge Hofdamen ein Komplott, um den Fürsten von seinem lächerlichen Gemütszustand und zugleich den König von seiner Eifersucht zu kurieren, die völlig unbegründet war, denn als die Damen in das Allerheiligste des Fürsten eindrangen, stellten sie fest, dass das wahre Objekt seiner Verherrlichung eine die Königin darstellende Puppe war. Wiederum hatte er die Wirklichkeit verschmäht. Die Puppe wurde aufgeschnitten, und es zeigt sich, dass sie mit empfindsamer Literatur einschließlich Goethes Werther und ähnlichen gängigen Schriften ausgestopft war, deren Entdeckung von bissigen Bemerkungen begleitet wurde. Mit der Zerstörung der Puppe brach die Fiktion des Fürsten zusammen, und die allgemeine Zufriedenheit war wiederhergestellt.
Das war natürlich ein Stück für Kenner, ohne jede Publikumswirksamkeit. Aber wir verwendeten viel Liebe darauf und hatten großen Spaß damit, obgleich einige Leute es mehr oder weniger verrückt fanden. Die Szene mit den Büchern wurde natürlich aktualisiert, und wir erweiterten Goethes Text um eine Anzahl von Späßen über Zeitgenossen. Damals hatte ein sehr witziges Stück von Zuckmayer, Der fröhliche Weinberg, einige Kontroversen ausgelöst, denn an vielen Orten hatten verschiedene Organisationen wegen seiner ziemlich freimütigen Sprache dagegen protestiert. Als Bekker die Aufführung für unser Theater ankündigte, drückte der Kasseler Polizeipräsident, ein gewisser Baron von Korff, sein Missfallen aus. Er war ein Mann von vorrevolutionärer Tradition und ein überzeugter Katholik. Persönlich hatte ich nichts gegen ihn, weil er ein ganz reizender Herr mit drei sehr netten, nur ein klein wenig altjüngferlichen Töchtern war, mit denen ich ab und zu mit großem Vergnügen gesellschaftlich verkehrte. Aber unter den gegebenen Umständen nahmen die Katholiken in kontroversen Fragen gewöhnlich eine konservative, wenn nicht reaktionäre Haltung ein, und ich hatte bereits eine Auseinandersetzung mit einem Beamten des öffentlichen Schulsystems gehabt, der mich in der katholischen Zeitung wegen einer meiner Artikel im Programmheft des Theaters und wegen eines Radiovortrags angegriffen hatte. Ich hatte ihm in der sogenannten liberalen Zeitung geantwortet, im besten Karl-Kraus-Stil, wie ich meinte. Deshalb bestand ich darauf, in Goethes Stück auch eine Spitze gegen den Baron von Korff einzufügen, auf die er sehr nett und gentleman-like reagierte.
Meine Musik zu dem Stück war recht umfangreich, eine Art verjazzter Stil des achtzehnten Jahrhunderts. Da Goethes Schluss kein wirkungsvolles musikalisches Finale zuließ, hatten wir ein Gedicht von Goethe ausgewählt (es war übrigens Gertrud [Tandar], die es gefunden und vorgeschlagen hatte), und ich setzte es für vier Solostimmen. Die Musik war für ein kleines Symphonieorchester geschrieben. Später zog ich eine Suite heraus, in der das Finale enthalten war und die man entweder mit Koloratursopran oder rein instrumental aufführen konnte. Erstere Fassung wurde von Bruno Walter im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt, mit der berühmten Maria lvogün als Solistin. Beide Versionen waren ungemein erfolgreich und wurden überall viele Male aufgeführt.
Ernst Krenek, Im Atem der Zeit, Hoffmann und Campe Verlag, Harnburg 1998