
Schönbergs Variations on a recitative op. 40, entstanden 1941 in Los Angeles, gelten als einzig vollendetes Orgelwerk des Komponisten und sind der Initiative des amerikanischen Organisten William Strickland zu verdanken, der beim New Yorker Musikverlag H. W. Gray Publishing die Editionsreihe Contemporary Organ Series ins Leben gerufen hatte. Auf Stricklands Anregung hin schuf Arnold Schönberg ein Opus – sein längstes für Soloinstrument – das sich auch notationstechnisch von all dem unterschied, was bis dahin für Orgel geschrieben worden war:
Von seinem Orchestersatz ausgehend, hatte sich Schönberg einer „Resultatnotation“ bedient, welche die gewünschten Tonhöhen klingend wiedergibt, und somit die Klaviaturumfänge der Orgel öfter überschreitet. Zudem gab er registrierungsbedingte Oktavverdopplungen durch pianistische coll’ottava-Zeichen an (col 8 basso = mit 16 Fuß, col 8 = mit 4 Fuß etc.) - eine für Orgelmusik einmalige Notationsweise, die kreativ wie auch erklärungsbedürftig war. Entsprechend unterschiedlich gingen die bisherigen Ausgaben damit um.
Der 1947 von Gray herausgebrachte Erstdruck wurde von Carl Weinrich eingerichtet, dem Interpreten der 1944 in New York erfolgten Uraufführung, zu der Zeit Director of Music an der Princeton University Chapel. Aus der Disposition der dortigen Skinner Orgel heraus entwickelte er einen akribischen Registrierungsplan, der den Variations eine auf amerikanischen Großorgeln zugeschnittene Klanggestalt verlieh. Weinrichs Ansatz rief international prompte Kritik hervor und wurde nachträglich vom Komponisten – trotzt anfänglicher Freigabe – strikt abgelehnt; bis in seinen letzten Lebensmonaten bestand Schönberg bei Gray auf eine „unregistrierte“ Zweitauflage („…damit sich jeder seine eigene Registrierung selbst machen kann“), die nie zustande kam. Erst 1973 erschien im Rahmen der Schönberg Gesamtausgabe ein vom Musikwissenschaftler Christian Martin Schmidt herausgegebener Urtext, der die Variations erstmals in ihrer authentischen Lesart erschloss. Die philologische Edition hält konsequenterweise an Schönbergs Originalnotation fest, was wiederum den praktischen Zugang erschwert.
Ziel und Zweck der neuen UE-Ausgabe ist es daher, einen wissenschaftlich fundierten Notentext zu bieten, der zugleich den spezifischen Erfordernissen der Interpretationspraxis entspricht. Die heute im Arnold Schönberg Center, Wien aufbewahrten Quellen wurden von einem aufführungspraktischen Standpunkt aus neu zusammengestellt; hinzu wurde eine Errata-Liste herangezogen, die Schönberg 1941 verfasste und in bisherigen Ausgaben unberücksichtigt blieb. Die Resultatnotation des Autographs wurde in eine praktikablere „Griffnotation“ umgewandelt, in der die jeweils gewünschte Tonhöhen aus den entsprechenden Registrierungen (16′, 8′, 4′) resultieren; ebenso wurden Schönbergs Angaben zur Oktavverdopplung in gängige Fußtonangaben „übersetzt“. Ein umfassendes Vorwort (in Englisch) informiert über Werkentstehung und Schönbergs Orgelauffassung, liefert außerdem Hinweise zur Interpretation. Der Notenteil ist mit Fußnoten versehen, die auf die entsprechende Anmerkungen im beiliegenden kritischen Bericht verweisen.
(Pier Damiano Peretti)