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Roman Haubenstock-Ramati
Haubenstock-Ramati: Credentials or "Think, Think Lucky" für Singstimme (Sprechgesang) und 8 Instrumente, für Singstimme (Sprechgesang) und 8 Instrumente
Text von: Samuel Beckett
UE13676
Ausgabeinfo: aus "Warten für Godot" von Samuel Beckett
Ausgabeart: Partitur
Reihe: -
Sprachen: -
Schwierigkeit: -
Format: 420 x 297 mm
ISBN: 9783702442552
Seiten: -
ISMN: 979-0-008-01614-1
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Beschreibung
Dieses Stück wurde für die Donaueschinger Musiktage 1961 komponiert. Der Text ist Luckys Monolog aus Warten auf Godot von Samuel Beckett.
Ein leeres Feld – ein Baum mit einem einzigen grünen Blatt. Didi und Gogo, in etwa Dick und Doof, warten auf Godot, eine Art Erlösung. Er soll heute kommen. Sie führen einen mageren, eher monosyllabischen Dialog: über Rückenschmerzen, über die zu engen Schuhe, über den Geschmack einer alten Karotte. Die alltäglichen Allerwelts[-]Küchengespräche. Didi (oder war es Gogo?) versucht, sich an dem Baum zu erhängen. Vergeblich: der Zweig ist zu schwach.
Das grüne Blatt auf dem Baum zeigt immerhin, dass wir erst nach dem Zweiten Weltkrieg sind; nach dem Dritten wird es weder Blatt noch Baum geben und wird das Endspiel gelten.
Vorläufig – bis wir so weit sind – gilt das Warten auf Godot.
1952 von Beckett geschrieben: das wichtigste dramatische Werk unserer Zeit. Beckett nennt es „eine Komödie“. Anstatt Godot erscheint (von der rechten Seite der Bühne) Pozzo; ein Herr. In seiner rechten Hand hält er eine Peitsche. In der linken einen Strick, dessen anderes Ende wie eine Schlinge um den Hals Luckys, seines Dieners, gebunden ist.
Lucky trägt zwei Koffer mit der „Versorgung“ für seinen Herrn. Ihm wird – eventuell – ein Knochen des eben von Pozzo verspeisten Hähnchens hingeworfen. Pozzo ist ein guter Herr, und Lucky ist lucky.
Außerdem hat Lucky eine komische Eigenschaft, die zu seiner – des Herrn – und anderer Belustigung, falls vom Herrn angeordnet, dienen kann: Er kann „denken“. Das kann zwar „gefährlich“ sein – wie Pozzo dem Didi und Gogo vorträgt –, ist aber noch immer „komisch“. Genug „komisch“, um die eventuelle Gefahr zu riskieren. Um „denken“ zu können, muß ihm – dem Lucky – einfach ein Hut auf den Kopf gesetzt werden. Ohne Hut geht es – erstens – nicht, und – zweitens – wenn es gefährlich sein sollte, wird ihm der Hut schnell abgenommen. Die Gefahr ist dann vorbei. So einfach ist das. „Think, think Lucky!“
Obwohl Worte wie alte Geldscheine für tausend verschiedene Sachen ausgegeben werden können, werden diejenigen, die die Semantik der Sprache aufheben möchten, mit den Schwierigkeiten auf mehreren Stufen dieser Semantik konfrontiert. Da ist die Semantik des einzelnen Wortes – dann die des Satzes, des Kontexts, der Struktur also, und der grammatikalischen Gesetze und zuletzt die Semantik der ganzen Erzählung, der „Story“, der „Message“.
James Joyce zerstört in Finnegans Wake die Semantik des Wortes durch neue Wortkombinationen und Worterfindungen: Die neu zusammengesetzten Gene werden zu neuen Sprachmolekülen. Die nicht mehr funktionierende Eindeutigkeit wird zu einer bewußt gelenkten Vieldeutigkeit, zu einer neuen Sprachkunst gehoben.
Beckett sprengt die Semantik des Satzes durch die Aufhebung der Interpunktion. Er zerstört damit die Semantik des Kontexts und der Struktur: Sein „nicht-enden-wollender“ Satz wird so zur ganzen ,,Story“, die – ihrerseits zu einem einzigen Satz degradiert – der eigenen Semantik enthoben wird.
Wer sagt, daß es in der Musik keine Semantik gibt? Es gibt doch die „Semantik des vorbelasteten Materials“. Es gibt die „Semantik des bekannten Kontexts“ und die der „angelernten Form“.
Da all dies in der „Stabilität“, in der „Ein-Deutigkeit“ des Ablaufs verankert ist, kann es nur durch die prinzipiell neue Beziehung des Materials, der Mikrostrukturen zueinander und durch die Variabilität der neu erfundenen Formen zerstört werden.
Der Text, also die entsemantisierte „Ein-Satz-Story“ des Monologs, ist bei Anwendung aller möglichen Nuancen des Sprechgesangs – vom Gesang bis zur Sprache, zum Geschrei und zu perkussiven Effekten – als eine „stabile“ Kontinuität durchkomponiert.
Die Stimme ist von acht instrumentalen „Mobiles“ begleitet. Man könnte auch die Gesamtform von Credentials als ein „Stabile“, das von einem achtstimmigen Mobile begleitet ist, bezeichnen. Die musikalische Form des Mobiles entsteht, wenn zwei oder mehrere ungleich lange „Zyklen“, das heißt geschlossene, kreisartig wiederkehrende Strukturen, sich gleichzeitig im „Umlauf“ befinden. Ein Zyklus kann als Linie oder als Fläche verstanden und dementsprechend notiert werden.
In Credentials sind alle Instrumentalmobiles als Fläche notiert: Die viereckigen Flächen werden wie ein Schachbrett in Felder unterteilt. Innerhalb dieser Felder werden einzelne Strukturen oder Teile längerer Strukturen notiert.
Die Felder können horizontal, vertikal und diagonal, von oben nach unten, von unten nach oben und vice versa von links nach rechts gelesen werden. Das ergibt 16 Lesarten, also 16 verschiedene Versionen, Interpretationen der als Fläche notierten Mobiles. Werden mehrere oder gar alle Versionen gleichzeitig gespielt, so erfüllt sich meine Idee der „dynamisch geschlossenen Form“, die, vom Prinzip „immer dasselbe immer anders“ ausgehend, in der Form des „Mobiles“ ihre Kristallisation findet.
Luckys Monolog ist eine absurde, vieldeutige „Arie“ über die „Entstehung der Welt“ und über die menschliche Existenz. Sie bricht ab bei dem Wort „Unfinished“; Lucky wird aufgeregt, sein „Denken“ gefährlich. Also „Hut ab!“, „Unfinished“.
Einem musikalischen Mobile ähnlich, kann diese „Arie“ wieder angefangen werden, um – mit einer geänderten Lesart – über unsere Existenz „eine andere Story mit denselben Worten zu erzählen“.
Roman Haubenstock-Ramati
Mehr Informationen
Ausgabeinfo: aus "Warten für Godot" von Samuel Beckett
Ausgabeart: Partitur
Reihe: -
Sprachen: -
Schwierigkeit: -
Format: 420 x 297 mm
ISBN: 9783702442552
Seiten: -
ISMN: 979-0-008-01614-1