Paul von Klenau
*11. Februar 1883
†31. August 1946
Werke von Paul von Klenau
Über die Musik
Dr. H. R. Fleischmann über Paul von Klenau
In Paul August von Klenau ist uns eine neue Hoffnung aus dem Norden erstanden und seine bisher geschaffenen Werke erwecken durch monumentale Gestaltung unser Interesse.
Paul August von Klenau wurde am 11. Februar 1883 in Kopenhagen geboren. Sein Vater war Direktor einer großen Seeversicherungsgesellschaft und ist bereits verstorben, seine Mutter lebt derzeit noch in Kopenhagen. Die Lust und Freude am Musizieren ist schon frühzeitig in dem Knaben rege geworden, der mit sechs Jahren seine erste Komposition (ein Lied) schuf. Theoretischen Unterricht genoss er in Kopenhagen bei Prof. Otto Mailing, auf der Geige wurde er von Prof. Hilmer unterwiesen. Gleichzeitig legte er 1900 sein Abiturientenexamen ab und ging dann 1902 als Geiger nach Berlin, woselbst er bei Joachim konkurrierte, jedoch nicht Aufnahme fand. Ein halbes Jahr später kam er als Kompositionsschüler zu Max Bruch an die Hochschule und studierte noch ein weiteres Jahr Geige bei Prof. Halir, bis er eines Tages sein Violinspiel aufgab und seither nie wieder die Geige zur Hand nahm. Als Beweggrund hierfür führt Klenau die pedantische, konservative Methode an, die damals an der Berliner Hochschule als die allein richtige und mögliche angesehen wurde. Im Jahre 1903 übersiedelte er nach München und genoss hier noch zwei Jahre hindurch den Unterricht von Prof. Ludwig Thuille bis zu dessen Tode. In München, hat nun auch Klenau seinen ständigen Wohnsitz genommen, während er seine Sommerszeit in Beiersberg am Simssee, also ebenfalls in Bayern, verlebt.
Klenau hat zwar schon im frühesten Alter zu. komponieren begonnen, doch bezeichnet er selbst diese Jugendwerke heute als unreif und ungenügend. Seine wirkliche Produktion rechnet er erst von der genauen Bekanntschaft mit Bruckners Partituren, die in ihm einen glühenden Verehrer und Bewunderer gefunden haben, was übrigens auch in manchen seiner Opera zum Ausdruck kommt. Wenn nun auch Klenau eine Reihe von Liedern und Klavierstücken komponiert hat, so liegt doch seine Hauptstärke auf dem Gebiete der großen dekorativen Formen und hier hat er denn auch bisher sein Bestes geschaffen. Von zeitgenössischen Komponisten hat es ihm — außer Bruckner — besonders die neufranzösische Schule angetan: Debussy und Ducas; er hegt ferner Vorliebe für Delius, Pfitzner, Strauß (ein „musikalisches Genie“), Mahler (ein „großer, idealer Mensch“) und Schönberg, welch letzterer ihm in manchem allerdings noch ein Problem ist.
Von den vier Symphonien, die Klenau bisher geschrieben, hat die dritte in F-Dur und die letzte Symphonie die größten Erfolge zu verzeichnen. Erstere gelangte in Straßburg unter Pfitzner zur Uraufführung, der dann in Dresden unter v. Schuch und in Berlin unter Oskar Fried weitere glänzend aufgenommene Aufführungen folgten. Klenau lässt der viersätzigen Symphonie ein machtvolles Tedeum folgen, das dem Werke einen glänzenden Abschluß sichert. Klenau hat vor so vielen Zeitgenossen voraus, dass er die Form beherrscht und dadurch bei allem modernen Empfinden seiner Komposition eine Klarheit und Verständlichkeit verleiht, jene Selbstverständlichkeit, die so überzeugend wirkt und so selten zu finden ist.
Klenaus Vierte erlebte in einem Symphoniekonzert im Opernhaus zu Dresden ihre Uraufführung. Sie bedeutet gegenüber der vorangehenden Symphonie einen gewaltigen Schritt nach vorwärts. Wie Klenau selbst mitteilt, wurde er zur Komposition derselben durch die Lektüre des Inferno aus Dantes Divina Commedia angeregt; sie ist jedoch keine einheitliche Programm-Symphonie, sondern besteht mehr aus einer Anzahl von musikalischen Stimmungsbildern, die in einzelnen Abschnitten der Göttlichen Komödie ihre Erklärung finden. In Bezug auf orchestrale Mittel greift der Komponist in diesem Werke sehr weit: Zu dem üblichen großen Orchester kommen noch Klavier, Celesta und ein gegen den Schluss hin in Tätigkeit tretender unsichtbarer Chor von vokalisierenden Singstimmen. Die beiden ersten Sätze, ein stürmisches Allegro und ein innig leidenschaftlicher langsamer Satz, halten sich in der Form noch an den überlieferten Charakter der Symphoniesätze; hingegen sprengen die beiden letzten vollkommen die formelle Tradition, tragen mehr den Charakter impressionistischer Phantasien und schließen sich damit auch enger an bestimmte Episoden des großen Gedichtes an. Diese letzten Sätze bedeuten denn auch den besonderen Wert des Tongedichtes und üben durch die suggestive Art, mit der Gefühlsabläufe oder Naturstimmungen tondichterisch dargestellt werden, starke Wirkung.
Klenaus Ballade für Bariton und Orchester betitelt sich Ebbe Skammelsøn und behandelt eine blutige Familiengeschichte, welche die stärksten Akzente verlangt und der in dieser Beziehung der Tonsetzer auch nichts schuldig geblieben ist.
Von Klenaus Kammermusik ist das Klavierquintett ein Werk voll strotzendem, ursprünglichem Kraftgefühl, das Streichquartett E moll hingegen zeigt eine Entwicklung von der Grundstimmung beschaulichen Ernstes zur innigen Träumerei, die sich zur phantastischen Erregung steigert und dann wieder in träumerische Ruhe zurücksinkt. Das diesem Hefte beigegebene Stimmungsbild ist den Klavierstücken Drei Stimmungen entnommen, deren melodische Linien in feinster dynamischer Schattierung und beseelt von echt poetischem Erfühlen der Dichterverse verlaufen.
Schließlich seien auch noch die erfolgreichen Bühnenwerke Klenaus erwähnt: Sulamith, nach Worten der heiligen Schrift, Kjartan und Gudrun, Oper in drei Akten, und das Ballett nach dem Märchen von H. C. Andersen Klein Ida‘s Blumen, das bereits über mehr als dreißig deutsche Bühnen gegangen ist. Die textliche Grundlage zu Sulamith entnahm Klenau dem Hohenliede Salomos in der Herderschen Übersetzung. Man kennt dieses biblische Buch als einen Hymnus auf die sinnliche Liebe, verfasst in einer bilderreichen Sprache nach orientalischer Art. In der Musik ist weniger die melodische Erfindung das hervorragendste Moment als die durchaus selbständige und eigenwillige Persönlichkeit, die in derselben eigene Werte gibt. Auch in der Operntragödie Kjartan und Gudrun tritt die starke Begabung Klenaus für bühnenmäßige Gestaltung in wirkungsvolle Erscheinung. Seinem Orchester entströmen blühende Klange, die Deklamation ist oftmals schwungvoll und stets eindrucksstark, Lokal' und Zeitkolorit mit großem Geschick getroffen. Das Tanzspiel Klein Ida‘s Blumen endlich ist ein duftiges Werkchen, voller Grazie und Zartheit, rhythmisch ungemein fesselnd gearbeitet und reich an melodisch reizenden Einfällen. So hat denn Klenau auch auf musikdramatischem Gebiete beachtenswerte Proben einer hervorragenden Begabung gegeben, die er in vielen wertvollen Tonschöpfungen erwiesen hat und von der wir in Zukunft noch manches Meisterstück erwarten dürfen.
Dr. H. R. Fleischmann, Wien
Musikblätter des Anbruch, 2 Jahrgang Nummer 10, 2 Mai-heft 1920