Wolfgang Rihm
In doppelter Tiefe
Kurz-Instrumentierung: 3 3 3 2 - 4 3 3 1 - Pk, Schl(3), Hf(2), Cel, Str
Dauer: 28'
Text von: Marinus Lubbe, van der
Solisten:
Frauenstimme
Instrumentierungsdetails:
Flöte(3) (+3. Picc)
Oboe(3) (+3. Eh)
Klarinette in A(2)
Bassklarinette in B
Fagott
Kontrafagott
Horn in F(4)
Trompete in C(3)
Posaune(3)
Kontrabasstuba
Pauken
Schlagzeug(3)
Harfe(2)
Celesta
Streicher
Rihm - In doppelter Tiefe für 2 Frauenstimmen und Orchester
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Wolfgang Rihm
Rihm: In doppelter TiefeInstrumentierung: für 2 Frauenstimmen und Orchester
Ausgabeart: Studienpartitur
Sprache: Deutsch
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Hörbeispiel
Werkeinführung
Die symphonischen Qualitäten des einsätzigen Orchesterwerkes In doppelter Tiefe (1999), ganz im Sinne der Definition Rihms, verkörpert in der dichten, 81 Seiten langen Partitur auch jenes Moment, wie es von Carl Dahlhaus als bestimmendes Agens der Symphonie seit Beethovens Eorica, op. 55, beschrieben worden ist - nämlich "Symphonie" auch verstanden als das Zeigen des "symphonischen Apparates." Also jenen im Orchesterinstrumentarium nicht nur rein spieltechnischen, sondern auch klang-räumlich-gestalterischen Möglichkeiten, die dem "Symphonischen" als episch-erzählende Dimension innewohnen - in deutlicher Analogie zum Roman seit dem 19. Jahrhundert, mit dem Anspruch hin "auf einen breiten Weltentwurf, auf ein Entwerfen neuer Wirklichkeit" (Jungheinrich). Solches manifestiert sich in In doppelter Tiefe schon zu Beginn, indem die Streicher die emphatische Tonfolge C-B-H (sfffz, "mit größter Vehemenz") intonieren - eine Figur, die sich in zahlreichen Varianten über die ganze Komposition erstreckt. Dabei wechseln sich instrumentaler und vokaler Part im Verlauf des Werkes mehrfach ab, wenn etwa nach der 64 Takte langen instrumentalen Einleitung die zwei Gesangsstimmen die erste Zeile des Gedichtes vortragen, worauf je abwechselnd wiederum ein längerer Instrumentalpart folgt. Und entsprechend eindrucksvoll gestaltet sich auch der Schluß des Werkes, zu den Zeilen "Alles ist schön, und kämpft dafür. In allem: und mit allem"- eine Art 'Morendo'-Passage, die in ihrer ausklingenden fahlen Atmosphäre ein Bergsches 'Aus-dem-Werk-gehen' zu beschwören scheint.
Programmatisch bezieht sich das Werk auf ein Gedicht von Marinus van der Lubbe, dem von den Nazis zu Tode verurteilten vermeintlichen 'Brandstifter' des Berliner Reichstagsbrandes vom 27. Februar 1933. Van der Lubbe, dessen Leichnam seit Januar 1934 als Namenloser auf dem Südfriedhof in Leipzig begraben liegt - "in doppelter Tiefe", entsprechend dem Jargon der "Friedhofsverordnung" -, schrieb das der Vertonung zugrunde liegende Gedicht an die Schönheit, welches einzig durch die deutsche Übersetzung des Gerichtsdolmetschers in den Gerichtsakten erhalten ist. Rihms musikalisches Denkmal gilt somit stellvertretend einem Opfer des Nazi-Regimes, uraufgeführt anläßlich zum Thema "50 Jahre Demokratie in Deutschland": "Bei zufälliger Zeitungslektüre stieß ich auf das Dokument. Schlagartig war Klarheit. Der trübe Anblick dieser zwei Blätter aus dem Gerichtsprotokoll schaffte sofort Helligkeit. Eine eingeschlossene organische Form in dichtestem Kristall ... Der beerdigungstechnische Terminus der 'doppelten Tiefe' gab Titel und Programm. Programm allerdings des künstlerischen Vorgehens, nicht der Rezeption. Kein Hörer muss nach Tiefen-Doubles tauchen. Aber alles Hörbare stammt von einem Grund, der jederzeit einbrechen könnte in Unterkellerungen und subkutane Quellgebiete, die 'oben' noch gar nicht benennbar sind" (Rihm).
Joachim Brügge