Cristóbal Halffter
*24. März 1930
†23. Mai 2021
Werke von Cristóbal Halffter
Biographie
Cristóbal Halffter Jiménez-Encina, geboren am 24. März 1930 in Madrid, entstammt einer kunstliebenden Familie, in der unter anderem Manuel de Falla und Federico García Lorca verkehrten. In diesem Kreis reiften seine beiden Onkel Ernesto (Lieblingsschüler von Falla) und Rodolfo Halffter zu bedeutenden Komponisten heran; Cristóbal erhielt von seiner Mutter den ersten Klavierunterricht. Die Erfahrungen mit dem spanischen Bürgerkrieg (1936-39) – sein Onkel Rodolfo ging ins Exil nach Mexiko, Ernesto nach Portugal, die Familie selbst nach Deutschland, ins Land des Großvaters – hinterließen in dem sensiblen Jungen tiefe Spuren, die später in seinem kompositorischen Hauptwerk einen bedeutenden Niederschlag finden sollten.
Nach Madrid zurückgekehrt (1939), nach dem Abitur an der deutschen Schule (Colegio de San Miguel) und einem glänzenden Studienabschluss am Madrider Konservatorium (das Scherzo für Orchester erhielt den selten vergebenen Primer premio extraordinario de composición), war es nur natürlich, dass der selbständig gewordene Komponist zunächst den in seinem Elternhaus gewonnenen Erfahrungen folgte: Seine Sonata für Klavier (1951) ist ohne das Studium der Sonatas de El Escorial seines Onkels Rodolfo kaum denkbar, seine erfolgreiche Antífona Pascual für Solisten, Chor und Orchester nicht ohne Kenntnis von Fallas Spätwerk. Jedoch bald wird sich der junge Komponist der Gefahr bewusst, sozusagen offene Türen einzurennen: „Nach dem Werk von Manuel de Falla stellte sich für die spanischen Komponisten das große Problem der Nachfolge. Ich glaube, dass unsere Musik das gleiche wie seinerzeit Falla verwirklichen sollte, nämlich der wirklich spanischen Musik die wesentlichen Neuerungen der zeitgenössischen europäischen Musik zuzuführen, um auf diese Weise die Universalität unserer Kunst zu erreichen.” Was folgte, war ein Wettlauf mit der Zeit: „A la recherche du temps perdu„ könnte man die folgenden Jahre überschreiben: „Wir hatten dem westlichen Ausland gegenüber einen fürchterlichen Rückstand: Der Rückstand einer Generation musste in knapp zehn Jahren aufgeholt werden.”
Wichtige Stationen auf diesem Wege wurden das erste Klavierkonzert (1952/53), in dessen rhythmisch betonten Ecksätzen der Einfluss von Bartók und Strawinskij hörbar wurde und dessen Mittelsatz eine neue Klanglichkeit ahnen ließ – dann die Tres piezas para cuarteto für Streichquartett (1955), die Dos movimientos für Streichorchester (1956), die Introducción, fuga y final für Klavier (1957), schließlich die Tres piezas für Flöte solo (1959), in denen er sich schrittweise die Zwölftontechnik zu eigen machte.
In dem zuletzt genannten Werk sah der Komponist „das Ende einer Etappe und den Beginn der folgenden”. Tatsächlich hatte er dort nicht nur die Tonhöhen einer strengen Ordnung unterzogen, sondern auch einem anderen „Parameter”, der Dynamik, erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. In den Cinco Microformas für Orchester (1959/60) traten schließlich zur Tonhöhenreihe je eine der Dauern und Klangfarben hinzu, deren Ergebnis ihm aber sofort neue technische Aufgaben stellte. Schon ein halbes Jahr nach deren Uraufführung begann er mit Skizzen zu den Formantes, einem Werk, das er als „semiabierta” bezeichnete, da die von einem Preludio und Postludio eingeschlossenen Formteile in einer von den Interpreten vorher gewählten Reihenfolge gespielt werden können, bei jeder Aufführung also ein neues Klangergebnis ergeben. Damit war der Anschluss an die Entwicklungen in der Darmstädter Schule erreicht.
Die Aufgabe des Tonalitätsprinzips, der Verzicht auf programmatische und folkloristische Elemente, der Erwerb einer zeitgenössischen abstrakten Sprache sollten allerdings keinem Selbstzweck dienen. Die weitere Entwicklung zeigt deutlich, dass er sich nun an den Hörer richten, Zeugnis ablegen, Stellung beziehen will: „Ich betrachte die Kunst in erster Linie als ein Mittel der Kommunikation …”, betonte er in der Folge immer wieder.
Ein Schlüsselwerk in dieser Richtung wurde die Kantate Yes Speak Out yes, ein Auftragswerk der UNO zum 20. Jahrestag der Proklamation der Menschenrechte 1968. Die Umstände bei der Madrider Erstaufführung, die erst nach Intervention des damaligen Generalsekretärs der UNO zustande kam, machten dem Komponisten nämlich bewusst, welche politische Bedeutung ein Musikwerk erlangen konnte. Hatte der 21-Jährige mit seiner Antífona noch spontan und unbekümmert einer „unbewussten Freude” Ausdruck gegeben, so sagte er später: „In meinen folgenden Werken erlernte ich nicht nur mein Handwerk, sondern wurde mir auch schrittweise meiner mich umgebenden Wirklichkeit bewusst.” Ihren Niederschlag fand diese bittere Erkentnis in einer Reihe von Kompositionen, deren Titel für sich selbst sprechen: Planto por las víctimas de la violencia, Requiem por la libertad imaginada, Variaciones sobre la resonancia de un grito, Elegias a la muerte de tres poetas españoles (gemeint waren hier Antonio Machado, Miguel Hernández und Federico García Lorca, die jeweils im Exil, Gefängnis oder Gewehrfeuer gestorben waren). Insgesamt Bekenntnisse eines Künstlers, der seine Zeit fortan mit wachem Geist erlebte und nicht schweigen wollte, ebenso wie seine Malerfreunde Eduardo Chillida, Eusebio Sempere, Lucio Muñoz und Manuel Rivera, denen er mit seiner Komposition für Cembalo und Orchester, Tiempo para espacios, ein musikalisches Denkmal setzte.
Drei Jahre nach Francos Tod (1975), der wohl politisch die „Wende” einleitete, aber die kulturelle Lage im Lande nicht wie erhofft veränderte, schrieb Halffter ein kurzes Stück für Cembalo mit dem Titel Adieu. Zwar brach die darin zum Ausdruck gebrachte Resignation in vielen Verlautbarungen immer wieder auf, durchdrang noch 1983 ein Orchesterwerk (Versus, nach dem alten Madrigal Triste España), doch hatte er sich schon längst neue Aufgaben gestellt. Erfüllt von den bahnbrechenden Arbeiten des Historikers Américo Castro, „der uns lehrte, auf welchen Steinen sich unsere Tradition aufbaut” und eingedenk des Beispiel Fallas, „die Universalität unserer Kunst” anzustreben, setzte er nun verstärkt auf ein Spanien, das sich seiner vielseitigen Wurzeln bewusst wird und von dort eine neue kulturelle Identität und letztlich europäische Größe erhält.
So entnahm er die Vorlagen für die Vokalkompositionen Jarchas de dolor de ausencia und Canciones de Al Andalus dem Corpus de Poesía Mozárabe von Sola-Solé. Aus dem 15. bis 17. Jahrhundert stammen die Gedichte der Tres poemas de la lirica española. Um die angestrebte Synthese mehrerer kultureller Wurzeln zu erreichen, stellte Halffter 1991/92 in den Siete cantos de España Teile aus den soeben genannten Werken derart zusammen, dass die Solisten in stetem Wechsel arabische, sefardische und spanische Texte singen.
Einige Instrumentalwerke wie Debla für Flöte solo und Tiento für Orchester verweisen auf gewisse Charakteristika des Flamenco, derselbe Tiento, sowie der Tiento del primer tono y batalla imperial für Orchester, der Fandango für Violoncelli und die Pasacalle escurialense für Streichorchester, auf frühe Instrumentalformen der spanischen Musik. Obwohl in den beiden zuletzt genannten Werken deutlich auf den einst im Escorial tätigen Schüler Domenico Scarlattis, Antonio Soler, Bezug genommen wird, signalisiert das keineswegs ein „postmodernes” Zurück zu seinen kompositorischen Anfängen. Seinen technischen Errungenschaften, u. a. der Schleifenbildung und der kontrollierten Aleatorik, die ihm immer wieder neue Klangräume erschließen und mit denen er jeweils auf die offenen Fragen seiner Zeit reagiert, ist sich Cristóbal Halffter stets treu geblieben. Die Summe seiner Bemühungen, der „spanischen Musik die wesentlichen Neuerungen der zeitgenössischen europäischen Musik zuzuführen”, stellt sicher die Oper Don Quijote dar, die am 23. Februar 2000, also kurz vor Vollendung seines 70. Geburtstags, in Madrid zur Uraufführung kam. In Halffters Neuinterpretation ist der Titelheld eine mythische Gestalt, verdammt „darüber zu wachen, dass weder Windmühlen, noch Giganten, noch Lämmer und Schafe, Caudillos (sic!) uns verbieten, zu lesen, zu denken, zu fühlen, anders zu sein, den eigenen Weg zu gehen, aus der Herde auszubrechen …”.
Hubert Daschner
24.3.1930 – geboren in Madrid
1936–1939 – Wohnsitz und Grundschule in Deutschland
1939–1947 – Oberschule und erste Kurse für Klavier und Musiklehre am Real Conservatorio de Música in Madrid
1947–1951 – Privatschüler von Conrado del Campo, bei dem er Harmonie- und Kompositionslehre studiert; Diplom 1951 in beiden Fächern
1961–1966 – Lehrer für Komposition und musikalische Formen am Real Conservatorio de Música in Madrid
1964–1966 – Direktor dieses Instituts
1966 – legt er sein Amt als Direktor nieder und erhält Freistellung von seiner Lehrtätigkeit, da er der Meinung ist, die Methoden der Musikpädagogik entsprächen nicht den Forderungen der Zeit. Stipendien für Amerika (Ford Foundation) und Berlin (DAAD)
1970–1978 – Dozent an der Universität von Navarra, unterrichtet Musikgeschichte
1970 – Beginn seiner Karriere als Orchesterdirigent in Europa und Amerika
1975 – Ehrenvorsitzender der Festwoche Zeitgenössischer Kunst in Royan (Frankreich)
1976 – Preis der RAI (Prix Italia); Dozent für Komposition der Kurse für Neue Musik in Darmstadt
1976-1978 – Vorsitzender der spanischen Sektion der IGNM
1979 – Künstlerischer Leiter des Studios für elektronische Musik der Heinrich Strobel-Stiftung in Freiburg/Breisgau
1980 – Prix Italia/RAI, Emmy-Preis (USA), Preis der Englischen Akademie; Ernennung zum Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaft, Kunst und Geisteswissenschaft, Paris
1981 – Goldene Verdienstmedaille der Schönen Künste von König Juan Carlos von Spanien
1983 – Mitglied der Akademie der Schönen Künste San Fernando, Madrid
1985 – Doktor honoris causa der Universität León
Seit 1989 – Principal Guest Conductor des Nationalorchesters, Madrid
1994 – Montaigne-Preis der Hamburger Stiftung F.V.S. als Würdigung des humanistischen Gehalts seiner Musik, seiner Bedeutung für das spanische Musikleben und seines Beitrags zur europäischen Kultur
1995 – Europäischer Preis für Komposition in Karlsruhe
1998 – Doktor honoris causa der Universidad Complutense Madrid
23.2.2000 – Uraufführung seiner Oper Don Quijote im Teatro Real in Madrid
4.8.2003 – Uraufführung eines Auftragswerkes der Wiener Philharmoniker Adagio en forma de rondo für Orchester unter Semyon Bychkov bei den Salzburger Festspielen
30.12.2004 – Uraufführung von Eritaña für Orchester, aus Iberia von Isaac Albéniz, Orquesta Sinfonica de Madrid, c. Rafael Frühbeck de Burgos, Teatro Real Madrid/E
5.2.2005 – Uraufführung von Palimsesto für Pauken und Orchester, Dresdner Philharmonie, c. Pedro Halffter, Alexander Peter, Pauken, Kulturpalast Dresden/D
4.5.2008 – Uraufführung der Oper Lázaro im Opernhaus Kiel, Kompositionsauftrag des Theaters Kiel, Libretto von Marset Juan Carlos, Georg Fritzsch, Dirigent, Philharmonisches Orchester Kiel
2009 - Würdigung von Halffter durch das Madrider Auditorio und das spanische Nationalorchester mit einer Carta Blanca.
5.9.2010 – Uraufführung von Ritual für Orchester im Auditorium Grafenegg. Dir. Cristóbal Halffter, Tonkünstler Orchester
2013 – Uraufführung der Oper Schachnovelle (Libretto: Wolfgang Haendeler) im Kieler Opernaus; Auftragswerk des Theater Kiel.
19.02.2014 – Uraufführung des Concerto grosso für Streichquartett und Orchester im Theater am Marientor, Duisburg.
29.06.2014 – erhält den Kieler Kulturpreis
23.09.2015 – Imágenes wird am Auditorio Nacional de Música in Madrid uraufgeführt
21.01.2016 – Erhält das Großkreuz des Orden Alfons X. des Weisen
23.09.2015 – Concierto für Viola und Orchester in Kiel uraufgeführt
Lebt mit seiner Gattin, der Pianistin Maria Manuela Caro, in Villafranca del Bierzo.