

Frank Martin
*15. September 1890
†21. November 1974
Werke von Frank Martin
Biographie
1890 – Frank Martin wird am 15. September in Genf als zehntes Kind des Pastors Charles Martin und Pauline Martin–Duval geboren.
1899 – Erste Komposition Tête de Linotte, ein Kinderlied.
1906 – Unterricht bei Joseph Lauber in Klavier, Harmonielehre, Komposition und Instrumentation.
1908–1910 – Studium der Mathematik und Physik an der Universität Genf.
1910 – Martin wird Mitglied des Schweizer Tonkünstlervereins (STV), dem er bis zu seinem Tode angehört.
1914–1918 – Einzug als Feldwebel und Telefonist.
1915 – Im Feld komponiert er die Symphonie für burleskes Orchester.
1918 – Heirat mit Odette Micheli. Übersiedlung nach Zürich.
1920 – Rückkehr nach Genf. Quatre Sonnets à Cassandre, das erste Werk, dass Martin selbst später gelten lässt.
1921–1922 – Aufenthalt in Rom.
1922 – Geburt seines ersten Sohnes Renaud François Louis. Messe pour double choeur a cappella.
1924 – Abreise nach Paris.
1925 – Trio sur des mélodies populaires irlandaises.
1926 – Nach der Trennung von seiner Frau Rückkehr nach Genf. Gründung der Société de Musique de Chambre de Genève. Ernennung zum Musikkritiker der Symphoniekonzerte an der „Tribune de Genève“ (bis 1936). Eintritt in das Institut Jaques–Dalcroze. Rhythmes
1930 – Ernennung an das Konservatorium von Genf als Professor für Kammermusik.
1931 – Heirat mit Irène Gardian. Sonate II für Violine und Klavier
1932 – Geburt der ersten Tochter Francoise Séverine.
1933 – 1. Konzert für Klavier und Orchester; Quatre pièces brèves für Gitarre.
1933–1939 – Künstlerische Leitung des Technicum Moderne de Musique.
1935 – Geburt der zweiten Tochter Jeanne Pernette. Rhapsodie für 2 Violinen, 2 Bratschen und Kontrabass.
1936 – Symphonie für großes Orchester.
1937 – Geburt der dritten Tochter Adrienne.
1938 – Ballade für Saxophon, Streichorchester, Klavier und Schlagzeug; Beginn mit Vin herbé.
1939 – Tod von Irène. Ballade für Flöte und Klavier.
1940 – Heirat mit Maria Boeke.
1942 – Frank Martin wird zum Präsidenten des STV in Neuenburg ernannt. UA der Gesamtfassung von Le Vin herbé in Zürich. Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (UA 1945 Basel).
1944 – Mitglied der Stiftung „Pro Arte“ (bis 1961). Petite Symphonie concertante (UA 1946 Zürich); In Terra Pax
1946 – Übersiedlung nach Amsterdam. Geburt des zweiten Sohnes Jan Frank. Golgatha (vollendet 1948, UA 1949 Genf).
1948 – Reise nach Buenos Aires als Schweizer Delegierter zum Weltkongress für Urheberrechte.
1949 – Geburt der vierten Tocher Anne Thérèse. Verleihung des Titels Dr. h. c. der Universität Genf. 6 Monologe aus Jedermann
1950 – Professor für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik in Köln (bis 1957). Violinkonzert (UA 1952 Basel).
1951 – Konzert für Cembalo und kleines Orchester.
1952 – Oper Der Sturm (beendet 1955, UA 1956 Wien).
1954 – Unfall mit Moped–Schenkelhalsbruch.
1955 – Mittelmeer–Kreuzfahrt mit den Stationen Venedig, Ägypten, Libanon, Zypern, Griechenland, Portofino.
1956 – Umzug nach Naarden.
1957 – Oratorium Le Mystère de la Nativité (UA 1959 Genf).
1960 – Große Konzerttournee mit dem Cellisten Henri Honegger. Monsieur de Pourceaugnac (UA 1963 Genf).
1963 – Les quatre Eléments (UA 1964 Lausanne).
1964 – Pilate (UA 1964 Rom). Neufassung von Der Sturm.
1965 – Konzert für Violoncello und Orchester (UA 1967 Basel).
1966 – Martin hält in Rom einen Vortrag über Die Verantwortung des Komponisten.
1967 – Erste Reise nach Nordamerika, wo elf seiner Werke aufgeführt werden, von denen er einen großen Teil selbst dirigiert oder spielt.
1968 – Reise nach Buenos Aires, wo er wieder ein Konzert dirigiert. 2. Konzert für Klavier und Orchester (UA 1970 Paris); Maria Triptychon
1970 – Das Fernsehen der französischen Schweiz dreht einen 90 Minuten langen Film, der Frank Martin gewidmet ist. 3 Danses für Oboe und Harfe (UA Zürich).
1971 – Vortrag in Interlaken (Schweiz) Die Rolle der Kunst in der heutigen Gesellschaft. Requiem (UA 1973 Lausanne).
1972 – Ballade für Viola und Blasorchester; Polyptyque (UA 1973 Lausanne).
1973 – Anfang des Jahres erkrankt Martin an einer Lungenentzündung, im Dezember folgt Gelbsucht, worauf der Komponist an den Gallenwegen operiert wird, wovon er sich nicht wieder vollständig erholt.
1974 – Der Gesundheitszustand bleibt bedenklich. Während einer Reise in die Toskana bricht sich Martin die rechte Schulter.
„Martinee Frank Martin“ an den Internationalen Musikfestwochen Luzern–Vortrag über Schönberg und die Folgen seiner Aktivität.
Der Komponist muss sich einer zweiten Operation unterziehen.
Am 21. November stirbt Frank Martin in Naarden.
Über die Musik
Frank Martin kommt erst mit 50 Jahren, 1940, in die UE. Emil Hertzka ist seit acht Jahren tot, Österreich ist ins Dritte Reich einverleibt, der Verlag „arisiert“ worden. Er heißt nun „Universal Edition Johannes Petschull“, nach dem Namen des neuen Direktors. Unter den Mitarbeitern befinden sich jedoch einige, die den Geist Hertzkas aufrecht erhalten wollen, allen voran Alfred Schlee, der etwa 1943 den Mut hatte, dem jüdischen Komponisten Rolf Liebermann einen Vertrag anzubieten, „für die Zeit danach“.
Schlee spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung, Frank Martin einzuladen und dessen Kompositionen dem Verlag anzuvertrauen: Schlee besuchte den Komponisten im Herbst 1940 in seinem Haus in Holland und bekundete Interesse an seiner Musik. Martin arbeitete gerade an Le vin herbé und spielte Schlee die fertigen Teile vor, woraufhin Schlee auf der Stelle anbot, nicht nur jenes Stück, sondern alle in der Zukunft zu entstehenden Kompositionen in Verlag zu nehmen. Sobald Le vin herbé vollendet wurde, schickte Martin die Partitur nach Wien, wo sie gleich gedruckt wurde.
In den 34 Jahren bis zu seinem Tod 1974 sind 85 Werke von der UE unter Vertrag genommen worden. Diese Formulierung mag irreführend sein, da einige Kompositionen in mehreren Fassungen vorhanden sind, manche von Frank Martin, manche von fremder Hand hergestellt. Es sind also keine fünfundachtzig unterschiedlichen Werke.
Ein Beispiel ist die Sonata da chiesa pour viole d’amour et orgue von 1938. Es entstand eine Version für Flöte und Orgel (1941), für Oboe d’amore und Orgel (1941), für Viola d’amore und Streichorchester (1952); weiters gibt es zwei verschiedene Fassungen des Stücks für Flöte und Streichorchester: Victor Desarzens hat eine davon 1958, also zu Lebzeiten des Komponisten, angefertigt, Gunnar Cohrs hat das Werk 1993 noch einmal für dieselbe Besetzung bearbeitet.
Die 2. Ballade pour flûte et piano (1938) ist ein ähnlicher Fall, mit Fassungen für so ausgefallene Besetzungen wie Flöte, Streichorchester, Klavier, Pauken und Schlagzeug. Martin hat eine ganze Reihe von Kompositionen unter dem Titel Ballade komponiert, die teilweise miteinander verwandt sind.
Als sich Martin der UE anschloss hat er auch Werke mitgenommen, die vor 1940 entstanden waren. Er überließ dem Verlag auch seine allerletzte Komposition, im Jahre seines Todes, 1974, geschrieben: Et la vie l’emporta, eine Kantate für Alt, Bariton, Kammerchor und Kammerensemble. Es ist nicht von ungefähr, dass sich Frank Martin mit einem Vokalwerk von Leben und Werk verabschiedete: die menschliche Stimme spielt eine bevorzugte Rolle in seinem Schaffen.
Ernest Ansermet, der sich für Martins Musik seit den frühesten Stücken einsetzte, meinte:
„Vom Anfang an erwies er sich as Lyriker, nicht als Symphoniker, und zwar als epischer Lyriker, als ein Künstler, dessen Musik vor allem Gesang ist, Gesang mit langem Atem, der sich in die Weite und in die Tiefe erstreckt.“
Eines der ersten bedeutenden Werke, die Martin der UE nach Vertragsabschluß anbot, war Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Rilke, für Alt und Orchester besetzt (1942/1943). Es wurde noch während des Zweiten Weltkrieges, im Februar 1945, in Basel uraufgeführt. Drei Monate später, zu Kriegsende, erklang die erste Aufführung von einem Werk, welches 1944 in der Sehnsucht nach Frieden komponiert worden war: das oratorio breve In terra pax. Wieder eine Komposition, die für Stimmen gedacht war: es wirken 5 Gesangssolisten, zwei gemischte Chöre und Orchester mit.
Der Stellenwert der menschlichen Stimme in Frank Martins Oeuvre könnte auch damit zusammenhängen, dass er, der Familie eines Pastors entstammend, ein gläubiger Mensch war. Sein Golgotha (1945/1948), Le Mystère de la Nativité (1957/1959) Pseaumes de Genève (1958), die Kantate Pilate (1964), Maria Tryptichon (1967/1968),), Requiem (1971/1972) und weitere Werke zeugen von seiner tiefen Religiosität.
Martin hat aber auch Bleibendes über weltliche Themen komponiert: die Sechs Monologe aus Jedermann für Bariton oder Alt und Klavier (1943), wenige Jahre später für Bariton oder Alt solo und Orchester bearbeitet, oder das eingangs erwähnte weltliche Oratorium Le vin herbé (1938/1941), das im Konzert, aber immer wieder auch szenisch, aufgeführt wird.
Darüber hinaus hat Martin Opern komponiert: das Zauberlustspiel Der Sturm nach Shakespeare (1952/1956) und die musikalische Komödie nach Molière, Monsieur de Pourceaugnac.
Die aus der Der Sturm gewonnene Suite für Bariton und Orchester wird immer wieder konzertant angesetzt. Ganz unabhängig von der Oper komponierte Martin im Jahre 1950 5 Songs of Ariel für gemischten Chor a cappella, zu einer Zeit, als er noch keine konkreten Pläne hatte, aus Shakespeares Stück ein Bühnenwerk zu schreiben.
Trotz der Bedeutung vokaler Werke in seinem Schaffen hat Martin auch eine Reihe von rein instrumentalen Stücken komponiert, die zu integralen Teilen des internationalen Konzertrepertoires geworden sind. Allen voran die Petite symphonie concertante (1945) für Harfe, Cembalo, Klavier und zwei Streichorchester, sowie das Concerto für 7 Blasinstrumente, Pauken, Schlagzeug und Streichorchester (1949). Sein Glaube fand auch in Polyptyque für Violine und zwei kleine Streichorchester (1973), mit dem Untertitel „Six images de la Passion du Christ“, ausdruck.
Frank Martin nahm sich seine Zeit, bis er die Gewissheit hatte, seine eigene musikalische Sprache gefunden zu haben. Es mag sein, dass er ein Spätentwickler war, aber er hat es geschafft, eine Musik zu komponieren, die eine Zwischenstellung zwischen Konservativismus und Avantgarde einnahm. Um ein weiteres Mal Ernest Ansermet zu zitieren:
„Frank Martin hat zwar mit dem Gebrauch der seriellen Technik in seinen tonalen Komplexen ebenfalls Neues gesucht, er ist aber niemals bis zur radikalen Neuheit der Atonalität gegangen: stets hat er den Gebrauch der Reihe dem Faktor untergeordnet, den er ‚sein Tonalitätsgefühl’ nennt. Weshalb? Weil dieses Tonalitätsgefühl – über das sich Martin nicht zu verbreiten liebt, das ihm aber innewohnt und ihm sagt, welche tonalen Beziehungen möglich sind und welche nicht -, weil dieses Tonalitätsgefühl ihm geradewegs den eigentlichen Sinn seiner Musik zu bedingen scheint. Mit anderen Worten: der Drang, ‚Neues’ zu schreiben, steht hinter dem Bedürfnis zurück, etwas zu komponieren, was für ihn Sinn hat, einen klaren Sinn, den er anderen durch seine Musik mitteilen kann, einen Sinn, der auf andere überträgt, was er selbst im Moment der Niederschrift empfand.“