

Judit Varga
*12. Januar 1979
Werke von Judit Varga
Biographie
Judit Varga (* 12. Januar 1979 in Győr – ) ist eine ungarische Komponistin und Pianistin. Sie komponiert klassisch zeitgenössische Musik, Film- und Theatermusik. Als Pianistin und Kammermusikerin trat sie in vielen Ländern auf. Sie sucht verstärkt neue Impulse sowohl in ihren Kompositionen, als auch in ihrer pädagogischen Tätigkeit. Sie lebt und arbeitet in Wien und in Budapest.
2013–2019 war sie Dozentin auf der Franz Liszt Musikuniversität Budapest und unterrichtete die Fächer Komposition, Angewandte- und Filmmusik und Historische Satztechniken. Seit 2019 hat sie auf der Universität für Musik und darstellende Kunst Wiendie Professur für Angewandte- und Medienkomposition inne.
Im Jahr 2017 wurde Judit Varga für ihr künstlerisches und pädagogisches Schaffen mit dem Béla-Bartók-Ditta-Pásztory-Preis ausgezeichnet, einem der höchsten facheinschlägigen Preise Ungarns. Im Jahr 2018 erhielt Judit Varga den Ferenc-Erkel-Preis. 2019 wurde Judit Varga mit dem renommierten TONALi Kompositionspreis für ihre Komposition „Pendulum“ ausgezeichnet.
Ihre Werke werden weltweit von renommierten Festivals und Häusern gespielt, wie Wien Modern, Ungarische Staatsoper, Cité de la musique Paris, Juilliard School New York, CAFe Budapest Contemporary Arts Festival, Mini-Festival, Konzerthaus Wien, Musikverein Wien, Muffathalle München oder Warschauer Herbst. Varga arbeitet mit Orchestern und Ensembles aus der ganzen Welt zusammen, unter anderem mit Ensemble Modern, BBC Symphony Orchestra, Radio-Symphonieorchester Wien, Chor der Ungarischen Staatsoper, UMZE Ensemble, Concerto Budapest, Ensemble Kontrapunkte, Riot Ensemble London, ensemble XX. jahrhundert (eXXj) und dem Ungarischer Rundfunkchor.
Varga wurde von der Österreichischen Filmakademie in den Jahren 2013, 2014 und 2020 für den Preis „Beste Musik“ nominiert. Für die Filmmusik des Films „Deine Schönheit ist nichts wert“ erhielt sie 2014 den österreichischen Filmpreis. 2016 wurde ihre Neuvertonung zu dem sowjetischen Klassiker „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Land der Bolschewiki“ (Regie: L. Kuleschow), ein Kompositionsauftrag des Wiener Konzerthauses, im Rahmen des „Film + Musik live“ Abos im großen Saal des Wiener Konzerthauses uraufgeführt.
2016 wurde ihre Oper „Szerelem“ („Liebe“), ein Auftragswerk der Ungarischen Staatsoper und Gewinner des Opernwettbewerbs „60 Jahre Ungarische Revolution“ in der Ungarischen Staatsoper gespielt. Die Oper erhielt herausragend positive Rezensionen in internationalen Fachzeitschriften.
Über die Musik
Judit Varga
Egal ob das Liebesdrama in der Oper seinen Höhepunkt erreicht oder der jugendliche Drogenexzess zum grausamen Verbrechen im Fernsehkrimi führt: Judit Varga ist hier wie dort künstlerisch in ihrem Element, wenn sie sich der Aufgabe stellt, diese wie jene Szenerie mit Musik zu erfüllen. So wie sie in der Lage ist, einem einzelnen Instrument oder einem kleinen Ensemble unter Ausnutzung der aktuellsten spieltechnischen Möglichkeiten eine breite Palette an Stimmungen und Klangvielfalt zu entlocken, so setzt sie dieses Vermögen am allerliebsten im Zusammenspiel innerhalb eines groß besetzten Orchesters ein, mit dessen unermesslichen Möglichkeiten sie souverän und mit verblüffend erscheinender Leichtigkeit umzugehen weiß.
Der Apparat kann ihr kaum groß genug sein, um ihre Phantasie zu entwickeln wie etwa in ihrem für das ORF Radio-Symphonieorchester Wien komponierten, nur knapp fünfminütigen vitalen Around a Roundabout (2020) und in dem Auftragswerk für das Ungarische Rundfunksymphonieorchester Landslide (2020/21). Methodisch verfolgt sie darin Ideen, die sich mit dem Versuch der auditiven Sichtbarmachung kinetischer Energien und anamorpher Bilder beschäftigen, wie dies auch in anderen Stücken aus jüngerer Zeit der Fall ist, etwa Black & White. Kinetic Loop for String Orchestra (2018) und den beiden Trios Anamorphoses 01 und Anamorphoses 02 (beide 2019).
Judit Varga hat die Fähigkeit, sich überzeugend in jeder Aufgabe auszudrücken, derer sie sich annimmt. In Weiterentwicklung minimalistischer Ideen hat das Wiederkehrende im Sinn von Loops für sie in ihrem gesamten Schaffen einen großen Anreiz. Dies tritt bei ihr nicht nach starrer Systematik auf, sondern in einer spielerischen Herangehensweise, mit der sie die Zeit und Tempowahrnehmung ihres Publikums herausfordert. Zu frühen Werken, in denen sich dies anschaulich verfolgen lässt, zählen der zweite Satz des Kammerkonzerts für Klarinette und Ensemble (2003/04) und die 13 Lieder for a Looped Bass Clarinet (2005). Ähnliches tritt in Escapex2 für Violoncello und Klavier (2019) auf und spielt eine hervorstechende Rolle als Element in der Oper Mikveh (Eszter Orbán nach Hadar Galron, 2020/21).
Generell zeigt die ästhetische Positionierung Vargas eine Bandbreite, in der sie die klassische Tradition ebenso aufgreift, wie sie sich mit den verschiedensten Tendenzen und experimentellen Strömungen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, sie auf ihre Sinnhaftigkeit als Bestandteil ihrer eigenen Klangsprache untersucht und sich dementsprechend organisch aneignet oder verwirft. In einem offenen Zugehen auf das historisch vorgefundene Material scheut sie sich nicht, auch Zitate aufzugreifen oder stilistische Anspielungen auf ihr vertraute und wichtige Kollegen der Musikgeschichte zu formen. Man wird die Paukenstimme aus Brahms‘ „Deutschem Requiem“ ebenso wie den Choral „Es ist genug“ aus Bachs Kantate BWV 60 in dem Orchesterwerk …alles Fleisch… (2013) erkennen, das sie dem Gedächtnis des Flötisten Zoltán Gyöngyössy gewidmet hat, während sie in dem kurzen Klaviertrio Blumenstück (2019) eine Erinnerung an ihren verstorbenen Lehrer Iván Eröd formt. In Variazioni con tema (2020) für Klavier und Ensemble treten ernst zu verstehende Allusionen auf Beethoven neben skurrile, durchaus witzig gemeinte hommageartigen Sequenzen und formen so eine sehr individuelle Botschaft zum Jubiläumsjahr.
All dies lässt Judit Vargas Musik gleichermaßen vertraut wie in einer zeitlosen Weise modern wirken. Gerade ihr für viele unerwartet natürlicher Zugriff ist es, der Fachleute zu respektvoll-überraschter Wertschätzung veranlasst und bei ihrem Publikum Sympathie verursacht, da dieses sich nicht über Gräben komplexer Konstruktion mit unlösbaren Problemen konfrontiert, sondern von ihr zu einer durchaus herausfordernden, aber immer lohnenswerten Begegnung eingeladen sieht.
Christian Heindl