Sir Harrison Birtwistle
White and Light
Dauer: 5'
Übersetzer: Michael Hamburger
Text von: Paul Celan
Solisten:
Sopran
Instrumentierungsdetails:
1. Klarinette in B
2. Klarinette in B
Viola
Violoncello
Kontrabass
Birtwistle - White and Light für Sopran, 2 Klarinetten, Viola, Violoncello und Kontrabass
Werkeinführung
"Sicheldünen, ungezählt.
Im Windschatten, tausendfach: du.
Du und der Arm,
mit dem ich nackt zu dir hinwuchs,
Verlorne.
Die Strahlen. Sie wehn uns zuhauf.
Wir tragen den Schein, den Schmerz und den Namen.
Weiß,
was sich uns regt,
ohne Gewicht,
was wir tauchen.
Weiß und Leicht:
Laß es werden.
Die Fernen, mondnah, wie wir, sie bauen.
Sie bauen die Klippe, wo
sich das Wandernde bricht,
sie bauen weiter:
mit Lichtschaum und stäubender Welle.
Das Wandernde, klippenher winkend.
Die Stirnen
winkt es heran,
die Stirnen, die man uns lieh, um der Spiegelung willen.
Die Stirnen.
Wir rollen mit ihnen dorthin
Stirnengestade.
Schläfst du?
Schlaf.
Meermühle geht, eishell und ungehört
in unsern Augen.
In der 1989 entstandenen Vertonung dieses Gedichtes von Paul Celan (1920-1970) lässt sich das intuitive Erfassen einer Stimmung und ihre Umsetzung in das ganz typische Idiom der Klangsprache Birtwistles begreifen. Charakteristisch für die schon in seinen frühesten Werken zutage tretende Anhäng1ichkeit an die Dichotomie zwischen Vers und Refrain ist der formale Aufbau des Stückes: die krasse Absetzung der zentralen Zeilen im Inneren ("Weiß, was sich uns regt...") wie auch am Ende ("Schläfst du?...") vergegenwärtigt die Unterschiedlichkeit zwischen äußerlichen und verinnerlichten Wirklichkeiten oder Phänomenen, innerhalb derer die Komposition durch den dreitaktigen Einschub in der Schluss-Sequenz noch einmal oszilliert.
Musikalisch ist das äußerliche Erleben in ein sehr engmaschiges Netz verschiedener Verläufe gefasst: das breit angelegte Melos der Klarinetten, der gleichsam tänzelnde Gesang des Soprans, die durchgehende Triolenbewegung der Viola und die rhythmisch verschränkten Ostinati in Cello und Kontrabass. Der Verinnerlichung hingegen korrespondiert die vollkommene Transparenz des Satzes, rhythmisch wie klanglich kaum ein zweites Mal hat sich Birtwistle in solche Nähe zur romantischen Tonmalerei begeben.
Christian Lackner