Wolfgang Rihm
Fremdes Licht
Kurz-Instrumentierung: 2 2 0 2 - 2 0 0 0, Str
Dauer: 30'
Text von: Clemens Brentano de la Roche
Widmung: Diese Komposition wurde geschrieben für Mojca Erdmann, Sopran Carolin Widman, Violine Jörg Widman, Klarinette
Solisten:
Sopran, Violine, Klarinette
Instrumentierungsdetails:
1. Flöte
2. Flöte
1. Oboe
2. Oboe
1. Fagott
2. Fagott
1. Horn in F
2. Horn in F
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello
Kontrabass
Rihm - Fremdes Licht für hohen Sopran, Violine, Klarinette und kleines Orchester
Übersetzung, Abdrucke und mehr
Wolfgang Rihm
Rihm: Fremdes LichtInstrumentierung: für hohen Sopran, Violine, Klarinette und kleines Orchester
Ausgabeart: Studienpartitur
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Hörbeispiel
Werkeinführung
Ein Gespräch mit dem Komponisten Wolfgang Rihm
Ihr Neues Werk Fremdes Licht basiert auf dem Gedicht Phantasie von Clemens Brentano. Wie sind Sie auf dieses Gedicht gekommen?
Mit Clemens Brentano habe ich mich viel beschäftigt. Da stieß ich dann auch früh auf diese eigenartige Dichtung.
Inhaltlich ist es ja eine Art Schlüssel oder Anleitung, in poetischer Form und mit metaphysischen Bildern, wie man sein Lebensglück in sich selbst findet.
Ja, so kann man das sehen. Das ist ein Gedanke, der weit in die Antike zurückgeht: Das Individuum trägt in sich selbst die Kraft und auch die Verantwortung für sein Glück. Dieser Gedanke findet sich auch in östlichen Philosophien. „Wer nicht gut zu sich ist, kann auch nicht zu anderen gut sein“.
Nun wählten Sie aber den im Gedicht erscheinenden Begriff „Fremdes Licht“ als Werktitel. Man sagt ja, Ihr Umgang mit Werktiteln sei nicht selten zugleich ein Aspekt der Komposition…
In diesem Fall ist es so, dass ein „Fremdes Licht“ auf die Partitur scheint, ganz aus naher Ferne: das Mozartsche. In der transparenten Satzweise, in der Durchsichtigkeit der Anlage, in der Instrumentenauswahl, auch in der Zusammensetzung des Orchesters – zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Fagotte, zwei Hörner und Streicher – lässt sich Mozartsche Anregung erkennen.
Drei Solisten und ein kleines Orchester: Da drängt sich die Assoziation einer Sinfonia concertante auf…
Ja, Sinfonia concertante e cantante. Das Gedicht ist ja von Brentano als instrumentale Kantate angelegt. Die „Vertonung“ beginnt bereits im Text. Ich habe vor einigen Jahren eine von mir so genannte Brentano-Phantasie für Sopran und Klavier komponiert und dabei sieben Gedichte zusammengestellt. Da hatte ich auch dieses Gedicht im Ermessensspielraum. Es ist ja selbst schon ein Zyklus, ein umfassendes zyklisches, kantatenartiges Gebilde, so dass ich damals nicht auf diese Form zurückgreifen wollte. Ich habe es mir für später vorbehalten, gab aber dem damals entstehenden Werk den Namen Brentano-Phantasie gerade mit Hinblick auf dieses Gedicht – so etwas nimmt bei mir oft verschlungene Pfade.
Dann habe ich ein Werk Gesangsstück für Violine, Klarinette und Klavier geschrieben, wobei der Klavierpart fast identisch ist mit dem der Brentano-Phantasie. Violine und Klarinette spielen jedoch etwas völlig anderes, machen also durch ihren Kommentar etwas Neues daraus.
Das dritte „Brentano-Werk“ ist nun das vorliegende für Violine, Klarinette und hohen Sopran. Darin ist aber nichts aus den beiden anderen Werken zitiert.
Würden Sie diese drei Werke als eine Art Zyklus sehen?
Nein. Alle drei sind zwar geprägt durch eine bestimmte poetische Welt, aber um einen Zyklus handelt es sich hier nicht. Es sind Solitäre, die aber durchaus Wirkung aufeinander haben.
Bei dem jetzigen Stück herrscht also das Ideal einer Mozartschen Durchsichtigkeit, die ich natürlich nicht erreiche, aber zumindest anstrebe. Jeder, der es hört, wird nicht sagen, „da wird Mozart zitiert“, aber die Haltung der Stimmführung gelegentlich, eben die Transparenz, ist Mozart geschuldet.
Die Solistengruppe scheint sich ja in zwei Schichten aufzuteilen. Der Sopran auf der einen Seite, der den Text vorträgt – Violine und Klarinette auf der anderen Seite. Welche Aufgaben übernehmen diese?
Keine besonders ausgewiesenen. Die beiden Solisten sind frei geführt; es ist, als ob die gesangliche Energie, die lineare gesangliche Entfaltung des Soprans, sich in den beiden anderen Solisten widerspiegelt.
Auffallend ist, dass sich nach jedem Vers oder besser nach jedem vollendeten Gedanken eine längere reine Instrumentalpassage dazwischen schiebt. Sind diese quasi Reflexionen bzw. Ausdruck einer Verinnerlichung des gerade wahrgenommenen Gedankens? Also eine Art „Nachklang“?
Das wäre zu viel gesagt. Das soll der Hörer für sich selbst entscheiden, ob er zur Reflexion aufgefordert ist bzw. Reflexion wahrnimmt. – Ich denke, dass sich da die Linie weiterspinnt, dass sich da ein ganz natürlicher Wille, eine Tendenz der Linie selbst, weiter ausbreitet.
Hängt die Wahl der Soloinstrumente mit den Künstlerpersönlichkeiten der Uraufführung zusammen?
Das will ich doch hoffen. Ich habe es für diese drei Künstler geschrieben. Ich habe schon mehrfach mit ihnen zusammengearbeitet und schätze sie sehr. Da sie sich auch untereinander sehr mögen, bot sich die Möglichkeit, dass sich fast etwas Familiäres, etwas sehr Organisches, entwickeln konnte.
War es der Text, der Sie inspiriert hat oder gibt es möglicherweise ein Gesamtkonzept, das hinter dem Werk steht?
Schon der Begriff „Konzept“ ist mir zuwider. Ich denke nicht in Konzepten. Ich habe Ideen, Wünsche, Vorstellungen, das Gefühl, an einen natürlichen Strom Anschluss zu finden. „Konzept“ klingt so bürokratisch; das hat so wenig mit mir zu tun. Es kennzeichnet mein Wesen, dass ich aus der Phantasie tätig werde und nicht aus einer strategischen Voraussicht. Deshalb stehen mir Dichtungen wie beispielsweise die von Brentano auch so nahe, wo die Sprache oft aus ihrer Eigenbewegung heraus zu sprechen scheint.
Wie sollte der Hörer an Ihr neues Werk herangehen?
Gerade, wenn es um Kunst geht, wird oft der Gedanke geäußert, man müsse über eine umfangreiche Vorbildung verfügen. Im Gegenteil: Man sollte sich eine kindliche Neugier bewahren. Das ist das Einzige, das Neues eröffnet. Ich wundere mich auch immer, wenn Äußerungen laut werden, man müsse bei Neuer Musik so viel mehr wissen. Was weiß das Publikum denn bei Mozart? Die fachlichen, technischen Geheimnisse bleiben nur wenigen einsehbar und erkennbar und um diese geht es letztlich gar nicht. Wenn Sie ein Gebäude sehen, müssen Sie auch nicht die statischen Berechnungen im Kopfe haben, um es im Sinne einer ästhetischen Gesamtheit, im Sinne einer Gestalt, die sich Ihnen eröffnet, zu verstehen.
Wer versteht das Phänomen des doppelten Kontrapunkts? Und trotzdem kann man Bach „verstehen“. Ich denke, dass da oft Scheinprobleme aufgetürmt, Gebirge errichtet werden, um das eigene „Sich-Nicht-Bewegen-Wollen“ zu motivieren: „Leider ist da jetzt ein Gebirge, so dass ich sitzen bleiben muss.“ Aber es ist kein Gebirge da; der Sessel steht auf freier Ebene, die Luft ist frisch, man sollte sich aus diesem Sessel erheben und sich den Dingen aussetzen. Sich selber bewegen – nicht immer warten, bis man bewegt wird.
Das ist ja auch einer der Kernpunkte in diesem Gedicht, denn wo nichts von selber da ist, da kommt auch nichts von außen dazu: „Wer sich mit Liebe nicht selber umarmt, für den ist das Leben zum Bettler verarmt. In eigenem Busen muss alles erklingen“….und nun der Satz, der für Brentano so maßgebend ist „und Hülle und Geist sich zum Leben verschlingen“. D. h. beides ist wichtig: Das Außen und das Innen.
In dem Gedicht wird ja auch von der kindlichen Neugier gesprochen: Und wer mit beiden nicht kindlich spricht…“
„…dem leuchtet kein Licht.“ Sie haben völlig Recht. Und noch aussagekräftiger: „Wer den eigenen Ton nicht hört, muss lauschen, bis er wiederkehrt…“ Der eigene Ton – das ist es! Eine Idee, die ich berückend finde. Nur wo der eigene Ton ist, kann überhaupt ein anderer Ton resonieren. Nur wo eine eigene Sprachfähigkeit da ist, kann ein Sprechen aufgenommen werden. Das ist doch das Eigentümliche, gerade bei Kunst: Der „Stumme“, der der Sprache nicht Fähige, wird letztlich nichts vernehmen. Das Problem ist heute, dass die Sprachlosigkeit, die mangelnde Artikulationsfähigkeit der Hörer, offensichtlich oft ein Ziel programmatischer Planung ist: Man versucht durch gleiche Programme ständig, den Hörer an seiner Entwicklung zu hindern. Dabei gibt es nichts Schöneres, als ein neugieriges Fortschreiten im Entdecken von etwas, das man noch nicht kennt. – Auch um das Bekannte neu geschenkt zu bekommen. Nun bin ich mit allem, was ich tue, kein Utopist. Ich bin sehr realistisch. Man weiß, dass sich Utopie nicht vorführen lässt. Das wäre dann Kunstgewerbe. Das utopische Moment hingegen wächst einem zu, das kann man nicht planen. Es ist etwas, das wie ein „Fremdes Licht“ von woanders her strahlt. Und plötzlich haben wir selbst diesem Licht Nahrung gegeben.