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Pierre Boulez
Boulez: Notation VII, für Orchester
UE31321
Ausgabeart: Dirigierpartitur
Format: 420 x 594 mm
Seiten: 22
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Beschreibung
Die Notations spannen sich wie eine Klammer um das Lebenswerk des Pierre Boulez. 1945 komponiert der damals Zwanzigjährige die Klavierfassung, zwölf Stücke zu zwölf Takten à zwölf Tönen, ursprünglich nur, um sich über seinen gar zu akademischen Professor lustig zu machen. Über dreißig Jahre später dienen ihm aber gerade diese Miniaturen als Keimzellen für das gleichnamige Orchesterwerk, ein gigantisches „work in progress“.
Stimmen zu Notations:
Boulez’ Meisterwerk erschließt sich dem neuen Zuhörer vielleicht am besten mit der Methode, die mir bei der Annäherung an Shakespeares Ein Sommernachtstraum hilfreich war: Zunächst das Durchlesen des Werkes (mit Hilfe eines Wörterbuches!) und danach der Besuch einer Aufführung. Boulez’ eigene Aufnahme ist zwar mit oder ohne Kopfhörer sehr aufschlussreich, aber das Erlebnis einer echten Konzertdarbietung, bei der ein riesiges symphonisches Ensemble die Dynamik auf pulsierende und doch transparente Weise alterniert, bietet den bestmöglichen Zugang zur Partitur.
Die Notations für Soloklavier, die auf elegante und wirkungsvolle Weise Schönberg (op. 19) und Strawinsky (Le Sacre) anklingen lassen, eignen sich als Einstieg in das deutlich komplexer entwickelte Orchesterwerk. Zu den vertikalen und horizontalen Strukturen des Klavierwerkes offenbart sich in der Tiefe der musikalischen Ebenen in der Orchesterpartitur eine dritte Dimension: Man hört von innen heraus.
Dennis Russell Davies
In November 2014 habe ich die Notations zum ersten Mal in Paris mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France aufgeführt. Aus meiner Erfahrung sehen die Partituren schwerer aus, als sie es sind. Wenn man alles so spielt, wie es notiert ist, klingt dieses Stück wunderbar, gewaltig. Man braucht nur ein gutes Orchester und einen guten Dirigenten.
Ideale Reihenfolge der Sätze: 1, 7, 4, 3, 2.
Peter Eötvös
Immer wenn ich die Notations von Boulez höre, studiere oder dirigiere, denke ich sofort an den anderen ganz großen Meister der französischen Klangarchitektur: Maurice Ravel. Die ästhetische Nähe zwischen Boulez und Ravel ist immanent.
Der Blick auf ein isoliertes Detail in einer der Partituren von Boulez (oder Ravel) erklärt die „Ganzheit”, die Aura und die Form eines großdimensionierten Werkes. Dies scheint mir als etwas immanent „Französisches“ – das geschärfte Bewusstsein für das Detail, welches sich logisch, aber auch gleichzeitig hoch poetisch in die Ganzheit der Architektonik des Werkes einfügt. Man kann fast sagen, dass die formalen Entwicklungen dieser Werke einem minutiös ausgetüftelten Plan folgen, sich aber auch gleichzeitig befreien und der Musik einen logischen Fluss gewähren – die große Freiheit im Atmen und Phrasieren dieser Musik unter ganz präzisen Vorgaben.
Die Klangwelt der Notations ist faszinierend und hat Generationen von jungen Komponisten geprägt, die für großes Orchester geschrieben haben und schreiben. Mit welch großartiger und genialer Inspiration hat Boulez die „kleinen“ Notationsfragmente für Klavier solo in den riesigen Wucherungen dieser großorchestralen Leinwand „implodieren“ lassen.
Es ist für mich faszinierend mitzuerleben, wie Boulez mit der Interpretation seines eigenen Werkes über die Jahre die Kontraste der Temporelationen in zunehmenden Alter ausgeweitet hat: Die langsamen Teile schwingen zunehmend mit mehr Zeit und Raum, die scherzohaften schnellen Sätze haben an Tempo und Druck gewonnen.
Matthias Pintscher
Pierre Boulez’ Notations stellen im Repertoire für großes Orchester unserer Zeit ein Werk von kapitaler Bedeutung dar. Meiner Meinung nach sind sie ebenso bedeutsam wie Le Sacre du Printemps oder La Mer für das moderne Sinfonieorchester. Sie zu dirigieren und bei jeder Probe eine Vielzahl neuer Elemente zu entdecken, bereitet mir jedes Mal mehr Freude. Vor vier Jahren wurde mir das große Privileg zuteil, sie mit Boulez persönlich in Baden-Baden einzustudieren. Dank seiner melodischen, rhythmischen und expressiven Vielschichtigkeit zählt dieses Werk zu den bedeutendsten Meisterwerken der neuen Musik.
François-Xavier Roth
[...] 1945, 1946 war da nichts mehr, musste alles erst wieder entstehen [...]1
[...] Was wir entdeckten, [...] war relativ einfach, denn es war ein erster Versuch, den Grundstein für eine neue Sprache zu legen, ausgehend von gegebenen Quellen, [auf die man wieder zurückgriff] 2 [...]
[... ] Nach einer gewissen Zeit erkannte man, dass das nicht genügte und man weiter suchen musste, über eine exakte Kodierung der Sprache hinausgehend, dass es galt, [ästhetische Anliegen neu zu entdecken]. Diesen waren wir anfangs ausgewichen [...], weil sie nicht so wichtig waren und [recht mühsam zu lösen schienen] [...] wir wollten uns nicht mit pseudoästhetischen Fragen belasten ...3
Aphoristische Kürze, unverkennbar expressionistische Klangintensität und rigoros serielles Vorgehen in puncto Kompositionstechnik sind die bestimmenden Merkmale, die Douze Notations (1945) für Klavier zum ästhetischen Manifest des jungen Pierre Boulez, zum Erstlingswerk eines feinsinnigen Komponisten machen. Der Künstler bringt hier mit ebenso kluger wie überlegener Selbstsicherheit die Überzeugung zum Ausdruck, dass der einzig mögliche Bereich für das notwendige Wiederaufleben der europäischen Musikkultur nach dem Zweiten Weltkrieg in der Serialität liegt – verbunden mit der revolutionären Befreiung des musikalischen Metrums, wie sie Strawinskys Le Sacre mit überwältigender Radikalität vorführte.
Dass Boulez gut drei Jahrzehnte nach der Komposition der Douze Notations (drei Jahrzehnte, in denen er nicht nur als Interpret des Repertoires des 20. Jahrhunderts, sondern mit seiner unermüdlichen, stets lebhaften Polemik auch als Wegbereiter der Neuen Musik Geltung erlangte) die Notwendigkeit verspürte, für eine neuerliche kreative Reflexion dorthin zurückzukehren, ist ein Maß dafür, wie wichtig jene ersten Schritte waren und wie aktuell sie in den kompositorischen Anliegen ihres Schöpfers immer noch sind.
Zwar lässt das Übertragen eines Klavierstücks in eine Orchesterfassung an gewisse, sehr französisch anmutende kompositorische Gewohnheiten denken, für die Maurice Ravel eines der repräsentativsten Beispiele ist, doch geht die Ähnlichkeit über die Schwelle dieser Feststellung nicht hinaus. Wir haben es hier mit etwas grundlegend Anderem zu tun, nämlich mit der Tatsache, dass ein Komponist am Höhepunkt seiner kreativen Reife fähig ist, sich seines Erstlingswerks (für Klavier) wieder anzunehmen, um daraus eine völlig neue, beeindruckende stilistische lectio magistralis entstehen zu lassen (für einen Orchesterapparat in eindeutiger Anlehnung an Mahler, was die Größe anbelangt).
Strahlend vor generöser Schönheit, reich an erfinderischen Raffinessen, umgesetzt mit Nonchalance und luftig-leichter technischer Virtuosität, ist Notations pour orchestre das wohl exemplarischste Werk für das Verständnis der kreativen Reife Pierre Boulez’. Ein echtes Bravourstück, ein beispielhafter Beitrag zu der eingangs zitierten historischen Aufforderung, „ästhetische Anliegen neu zu entdecken“.
Für mich ist dieses Meisterwerk einer der zukünftig unverzichtbaren Eckpfeiler eines erneuerten Repertoires für die Orchester des 21. Jahrhunderts. Ein neues Repertoire, dessen Notwendigkeit und Dringlichkeit gewiss jeder Musiker erkennt, dem bewusst ist, dass Kreativität in der Musik unserer Zeit einer tiefergreifenden Auseinandersetzung bedarf.
Emilio Pomàrico
1 Boulez, Pierre, A che punto siamo? Aus: Punti di Riferimento, Hg. Giulio Einaudi, Turin 1984
2 Boulez, Pierre, A che punto siamo? Aus: Punti di Riferimento, Hg. Giulio Einaudi, Turin 1984
3 Boulez, Pierre, A che punto siamo? Aus: Punti di Riferimento, Hg. Giulio Einaudi, Turin 1984
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Ausgabeart: Dirigierpartitur
Format: 420 x 594 mm
Seiten: 22