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Alexander Zemlinsky
Zemlinsky: Der Zwerg - op. 17
Dichter der Textvorlage: Oscar Wilde
Herausgeber: Antony Beaumont
Libretto von: Georg Klaren
Klavierauszug von: Heinrich Jalowetz
UE33135
Ausgabeart: Dirigierpartitur
Sprachen: Deutsch
Format: 297 x 420 mm
Seiten: 364
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Hörbeispiel
Beschreibung
Am 3. Mai 1921 erreichte Alexander Zemlinsky folgendes Telegramm: „habe mit großem genuss ihre oper zwerg gelesen koeln ist bereit sofort alleinige urauffuehrung anzunehmen wollen sie uns ihr werk anvertrauen klemperer“. Die Uraufführung von Der Zwerg fand genau ein Jahr später, am 28. Mai 1922 in Köln unter der Leitung von Otto Klemperer statt. In jener Epoche des Wandels, in der sich das Publikum zunehmend für Zeitoper, Neoklassizismus und Neue Sachlichkeit begeisterte, fand eine vermeintlich exaltierte, spätromantische Musik wie die des Zwergs immer weniger Gefallen. Nach einer Reihe von Aufführungen verschwand das Werk für ein halbes Jahrhundert von den Bühnen und kehrte erst 1981 gemeinsam mit Eine florentinische Tragödie siegreich in die Spielpläne zurück. Freunde und Bekannte Zemlinskys teilten seine Begeisterung für diese „Tragödie des hässlichen Mannes“ nur bedingt, denn der junge Librettist Georg C. Klaren hatte – vielleicht unabsichtlich – den Protagonisten zum Doppelgänger des Komponisten gemacht. Indem Zemlinsky sich mit einer Bühnenfigur identifizierte, die ihm sowohl physisch als auch charakterlich ähnelte, lief er Gefahr – so die Befürchtungen – sich in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen.
Vermutlich war es eine Aufführung von Zemlinskys Eine florentinische Tragödie an der Wiener Hofoper im April 1917, die den sechzehnjährigen Georg Klaren dazu bewegte, sich an den Komponisten zu wenden und ihm seine Mitarbeit als Librettist anzubieten.1 Dieser frühreife Jüngling hatte die Sexualpathologie Sigmund Freuds und Otto Weiningers eifrig studiert und hielt sich auf dem Gebiet offenbar schon für eine Koryphäe. Zunächst verfasste er ein eigenständiges Bühnendrama und sandte es Zemlinsky zu. Dieser, seit 1911 als musikalischer Leiter des Neuen Deutschen Theaters in Prag tätig, entdeckte in Klarens Arbeit „viel Gutes“2 und lud ihn prompt ein, einen literarischen Klassiker für die Opernbühne zu bearbeiten. „Als ich mit ihm zum erstenmal wegen eines Opernbuches in Fühlung trat“, erinnerte sich Klaren, „schlug mir Zemlinsky drei Stoffe vor, die sich als undramatisch erwiesen, aber psychologisch interessant sind: es handelte sich um zwei Romane bekannter Autoren und eine Novelle von Keller [Romeo und Julia auf dem Dorfe]. [...] Im einen der beiden anderen Stoffe vermengt sich [Kellers] Idyllismus mit einem jedem Passivisten bekannten Wunsche nach robuster Kraft, übertragen ins Erotische: nach einem donjuanesken Sadismus; es handelte sich um einen urwüchsigen, jenseits von Gut und Böse stehenden Herzensbrecher. Im dritten Sujet endlich war es der schwache Held vor einer fast unwahrscheinlichen, sieghaften Frauengestalt, welche Zemlinsky zur musikalischen Bearbeitung reizte. Schließlich entstand nun der ,Zwerg‘ [...]: ein Mensch ist unter Menschen gestellt, ohne zu wissen, daß er anders geartet ist als sie, [.] und er zerschellt am Weibe, das nicht zur Kenntnis seines tiefsten Wesens gelangen will, ihm aber auch nicht sagt, wodurch er sich von Anderen unterscheidet, sondern mit ihm spielt.“3
Klaren entschied sich vorerst für den „urwüchsigen Herzensbrecher“ – namentlich Raphael de Valentin, den Helden von Honore de Balzacs Roman Das Chagrinleder – und vollendete im April 1918 das Libretto zu Raphael, einer Oper in vier Szenen. Zemlinsky war damit nicht restlos zufrieden: „Natürlich musste vieles vergröbert werden. Leider!“, berichtete er an Schönberg.4 Trotzdem entwarf er während seiner Sommerferien in St. Peter bei Spindelmühle (Spindlerüv Mlyn im nordböhmischen Riesengebirge) einige Skizzen zu Raphael, doch da die politische Lage im Herbst 1918 für schöpferische Arbeit nicht förderlich war, legte er das Projekt beiseite. Kaum hatte er es im Juni des folgenden Jahres wiederaufgenommen, schickte ihm Klaren das Libretto zum Zwerg, frei nach Oscar Wildes Der Geburtstag der Infantin. Dies gefiel Zemlinsky weit besser. Zwar hatte er geplant, Raphael bis zum Saisonbeginn 1919/1920 fertig zu stellen, doch schließlich gab er das Projekt ganz auf (eine der Ideen sollte allerdings in seinem nächsten Werk, der Lyrischen Symphonie, zum Hauptthema werden) und machte sich in wildem Schaffensdrang an den Zwerg. Freunde und Bekannte teilten seine Begeisterung für diese „Tragödie des hässlichen Mannes“ nur bedingt, denn Klaren hatte – vielleicht unabsichtlich – den Protagonisten zum Doppelgänger des Komponisten gemacht. Indem Zemlinsky sich mit einer Bühnenfigur identifizierte, die ihm sowohl physisch als auch charakterlich ähnelte, lief er Gefahr – so die Befürchtung – sich in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen. In mehreren Briefen an Emil Hertzka, den Direktor der Universal Edition,5 verteidigte und erläuterte er die Stoffwahl: „Ich komponiere also jetzt am ,Zwerg’ (Geburtstag d. Inf.). Das Buch liegt mir ungewöhnlich gut; deshalb habe ich es trotz aller Einwände gemacht. Ich komponiere auch wie nie früher. Ich habe in wenigen Wochen 3/4 des Buchs fertig gemacht, es fehlen mir also noch 1/4. Ich muss u. will es sagen – es ist mir bis jetzt überaus gut gelungen.“6 „Wenn man mir nicht Bügel zwischen die Füße wirft – wie immer – so daß mir die Lust benommen wird, wird es etwas ganz Gutes.“ 7 „Was halten Sie von [der] ,Liebestheorie‘ von Klaren? Möchte mich sehr interessieren!“8
Eine außergewöhnlich dichte Folge von Theaterverpflichtungen hinderte Zemlinsky daran, sein Arbeitstempo zu halten. Endlich zu Weihnachten 1919 konnte er Hertzka berichten: „Der Zwerg ist fertig komponiert. Ich beginne jetzt die Instrumentation (falls Sie das überhaupt interessiert).“9 Die Ferien des folgenden Sommers verbrachte er in Bad Liebwerda im böhmischen Isergebirge, wo er 234 Seiten der Orchesterpartitur fertig stellte.10 In der darauf folgenden Spielzeit 1920/1921 beanspruchte ihn die Theaterarbeit wieder so sehr, dass er vier Monate brauchte, um die letzten 38 Partiturseiten auszuarbeiten (den Schlussstrich signierte er mit 4. Januar 1921). Heinrich Jalowetz, Zemlinskys Assistent am Neuen Deutschen Theater, begann schon im Sommer 1920 den Klavierauszug herzustellen und schickte die jeweils von ihm beendeten Teile unverzüglich an die Universal Edition. Daher lag der gestochene Klavierauszug bereits Mitte März 1921 gedruckt vor.
Von den zahlreichen Kapellmeistern und Theaterdirektoren, die im Frühjahr 1921 den Klavierauszug zur Ansicht erhielten, war Otto Klemperer, damals oberster musikalischer Leiter der Städtischen Bühnen in Köln, der Erste, der sich dazu positiv äußerte.11 Am 3. Mai telegrafierte er an Zemlinsky in Prag: „habe mit großem genuss ihre oper zwerg gelesen koeln ist bereit sofort alleinige urauffuehrung anzunehmen wollen sie uns ihr werk anvertrauen klemperer“. Köln läge vielleicht „ein wenig abseits vom Musikcentrum“, meinte Zemlinsky, und das dortige Publikum möge „ein zu nüchternes“ sein, dennoch packte er die Gelegenheit beim Schopf, denn Klemperer sei „eine Gewähr für vorzügliche musikalische Wiedergabe“.12 Wegen der gewaltigen stimmlichen wie szenischen Anforderungen der Titelrolle erwies es sich als sehr schwer, einen geeigneten, zwischen Charakterund Heldenfach gelagerten Tenor zu finden. Mehrmals musste die Kölner Theaterleitung aus diesem Grund die Produktion aufschieben. Schließlich wurde die Uraufführung für den 28. Mai 1922 angekündigt – zu spät, wie Zemlinsky murrte, um als Propaganda für die kommende Spielzeit wirksam sein zu können. Dennoch sei nicht alles verloren, führte er weiter aus, denn Richard Strauss, seit 1920 zusammen mit Franz Schalk Leiter der Wiener Staatsoper, habe die Partitur gesehen und sein Interesse verkündet, das Werk im eigenen Hause zu präsentieren.
Eine kurze Pause in seinem Prager Dienstplan ermöglichte es Zemlinsky, einer Einladung der Kölner Theaterkommission zu folgen und in der vierten Maiwoche eine Reise ins Rheinland anzutreten, um Klemperers letzten Proben beizuwohnen. „Ich fresse hier gut“, ließ er Schönberg wissen,13 und zwischen den Mahlzeiten nutzte er die Zeit, um Retouchen und Kürzungen zu implementieren. Weitere Änderungen nahm er anschließend in Prag vor, „weil mir noch einiges zu dick u. störend für die Singstimmen erschien“, wie er Hertzka mitteilte.14 Im Herbst 1922 bereinigte er einige Diskrepanzen zwischen Orchesterpartitur und Klavierauszug, um damit sein Werk der Öffentlichkeit zu übergeben und sich selbst neuen kompositorischen Aufgaben zu stellen.
In jener Epoche des Wandels, wo das Publikum sich zunehmend für Zeitoper, Neoklassizismus und Neue Sachlichkeit begeisterte, fand eine vermeintlich exaltierte, spätromantische Musik wie die des Zwergs immer weniger Gefallen. Entsprechend karg fiel die Liste der Neuinszenierungen aus: Wien (Staatsoper), 24. November 1923; Karlsruhe (Landestheater), 11. März 1924; Prag (Neues Deutsches Theater), 28. Mai 1926; BerlinCharlottenburg (Stadttheater), 22. September 1926. Außerdem führte das Problem der schwer besetzbaren Titelrolle mehrere Theater dazu, von angekündigten Produktionen letztendlich abzusehen. Hierzu zählten Freiburg und Olmütz (Datum jeweils unbekannt), Darmstadt (1922 und 1927), Aachen (1931) und Stuttgart (1931). So verschwand das Werk für ein halbes Jahrhundert aus dem Repertoire, bis es am 20. September 1981 an der Hamburgischen Staatsoper, gepaart mit der Florentinischen Tragödie, siegreich zurückkehrte. Eigens für diese Inszenierung wurde das Werk komplett umgedichtet, um einiges gekürzt und mit einem neuen Titel versehen: Der Geburtstag der Infantin. In dieser Form spielte das Werk eine Schlüsselrolle bei der Rehabilitierung Zemlinskys als Opernkomponist und bahnte damit den Weg für die Wiederbelebung der ungekürzten Originalfassung. Diese erklang zum ersten Mal während einer Serie konzertanter Aufführungen vom 11.-13. Februar 1996 in der Kölner Philharmonie.
1. Georg C. Klaren, geb. 10. September 1900 in Wien, sah sich damals offenbar als geistiger Erbe solcher „Jung-Dichter“ der belle époque wie Arthur Rimbaud und Hugo von Hofmannsthal. Neben seiner Arbeit am Zwerg schrieb er auch an einer Monographie über den Psychopathologen Otto Weininger (Otto Weininger, der Mensch, sein Werk und sein Leben, Leipzig 1924). Größerer Erfolg war ihm später jedoch als Drehbuchautor beschie- den, zuerst mit einer Stummfilmbearbeitung von Schnitzlers Liebelei (Gehetzte Frauen, 1927), später u.a. mit der vielgepriesenen Erstverfilmung von Büchners Wozzeck (Ost-Berlin, 1947), die er auch als Regisseur betreute. Nachdem das stalinistische Regime in Moskau ihn wegen „formalistischer Tendenzen“ angeprangert hatte, kehrte er nach Wien zurück. Im Jahre 1954 emigrierte er nach England, wo er in Sawbridgeworth am 18. November 1962 verstarb.
2. Zemlinsky an Arnold Schönberg, im Juni 1918, in: H. Weber (Hg.), Zemlinskys Briefwechsel mit Schönberg, Webern, Berg und Schreker, Darmstadt 1995, S. 194. In diesem Brief bemerkt Zemlinsky, er sei Klaren persönlich nie begegnet. Vermutlich war ihm also nicht bekannt, dass sein Librettist gerade erst 18 Jahre alt war!
3. Georg C. Klaren, Zemlinsky vom psychologischen Standpunkte, in: Der Auftakt, Jg. 1, Prag, Oktober 1921, S. 197
4. Zemlinsky an Arnold Schönberg, ca. Juni 1918, in: Weber, S. 194
5. O. Hagedorn (Hg.), Zemlinskys Briefwechsel mit der Universal Edition, in Vorbereitung
6. Unveröffentlichter Brief Zemlinskys an die Universal Edition, 23. August 1919
7. Zemlinsky an die Universal Edition, o. D. (im Herbst 1919)
8. Zemlinsky an die Universal Edition, 11. Juni 1920
9. Zemlinsky an die Universal Edition, 26. Dezember 1919
10. Die Textstelle „Jetzt weiß ich, daß ich liebe“ (S. 210-211) versah Zemlinsky im Autograph mit dem Zwischendatum „Liebwerda i. B., 3. August [19]20“.
11. Noch bevor die Partitur fertig war, hatte der musikalischer Leiter des Darmstädter Theaters, Georg Szell, den Wunsch geäußert, das Werk uraufzuführen.
12. Zemlinsky an die Universal Edition, Eingangsstempel: 3. Mai 1921
13. Zemlinsky an Arnold Schönberg, 27. Mai 1922, in: Weber, S. 233
14. Zemlinsky an die Universal Edition, 11. Juni 1922
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Ausgabeart: Dirigierpartitur
Sprachen: Deutsch
Format: 297 x 420 mm
Seiten: 364