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Mauricio Sotelo
Sotelo: Degli Eroici Furori, für Streichquartett
UE31995
Ausgabeart: Partitur (Sonderanfertigung)
Format: 232 x 305 mm
ISBN: 9783702414757
Seiten: 32
ISMN: 979-0-008-06621-4
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Beschreibung
Gerade große Kunst ist ihrer Vorgänger eingedenk – man weiß es seit eh und je. Dies gilt auch angesichts neuer, zeitgenössischer Kunstschöpfungen.
So hat die Klang- und Formenwelt des Streichquartetts durch Kompositionen Luigi Nonos, Helmut Lachenmanns und Wolfgang Rihms – und nicht nur durch sie – Bereicherungen erfahren, die ohne das schöpferische historische Bewusstsein all dieser Komponisten in der nun vorliegenden Form nicht möglich gewesen wären. Ihnen schließt sich nun die neue Streichquartett-Schöpfung Mauricios Sotelos an, als ein Werk, das mit der Geschichte in vielfältigem, höchst originellen – dabei strikt nach vorn orientiertem – Diskurs steht.
Darauf verweist allein schon der Titel Degli Heroici Furori des Thomas Daniel Schlee gewidmeten Quartetts – eine Werküberschrift, die auf Giordano Brunos Schrift De gl'heroici furori (1585) "Von den heroischen Leidenschaften" verweist. Das kann als eine Anwendung Brunos auf Bruno verstanden werden, hat Mauricio Sotelo doch in einigen knappen, erläuternden Sätzen zu seinem Streichquartett erklärt, dass "die Gedankenwelt Brunos und insbesondere seine 'Ars memorativa' " sich "zum Grundgerüst" seiner musikalischen Orientierung, seines "musikalischen Wirkens entwickeln" sollten.
Diese Notierung ist insofern besonders bemerkenswert, als sie im Kontext des intensiven Austauschs mit einem Komponisten der Avantgarde steht, der für sein ausgeprägtes historisches Bewusstsein im Dienste des Neuen steht: Luigi Nono.
Sotelo hat sich dazu selbst geäußert:
"In den Gesprächen mit meinem Lehrer Luigi Nono im Winter 1989 in Berlin tauschten wir uns in erster Linie über das Quartett op. 132 von Beethoven aus. Wir sprachen jedoch auch über Giordano Bruno, über seine Person und seine Theorien."
Wenn sich Rezeption als Abfolge historischer Stationen in Form kompositorischer Momente verfolgen lässt – sei es auch nur in rohen Zügen – dann am Beispiel des neuen Streichquartetts von Mauricio Sotelo auf der Folie von Fragmente - Stille. An Diotima von Luigi Nono. Denn die Gespräche über Beethovens op. 132 hatten gewiss auch einen Bezugspunkt in Nonos eigenem, damals, 1989, gerade 10 Jahre alten Streichquartett-Werk.
Nono selbst hat die akzentuierende Korrespondenz seiner Komposition mit Beethovens a-moll-Streichquartett, ausgehend von dessen Vortragsanweisung "mit innigster Empfindung" im Verlauf des langsamen Satz, gesprächsweise selbst bestätigt:
"Diese innigste Empfindung ist sehr wesentlich. Es gibt aber noch etwas anderes, das ich auch wieder von Beethoven genommen habe: sotto voce."
Exakt diesen Anknüpfungspunkt finden wir nun aber auch im Streichquartett Sotelos. Die charakteristische Überschrift "mit innigster Empfindung" steht hier zweimal an herausragender Stelle ebenso wie beim ersten Erscheinen der Zusatz "sotto voce". Ja, es gibt sogar noch einen weiteren Hinweis auf Nono, ist doch diesem "sotto voce" eine – räumliche Wirkung imaginierende – Angabe vorangestellt, und zwar besonders hervorgehoben: "Lontanissimo". Es ist eine Vortragsanweisung, die in Nonos "Tragedia dell'ascolto" PROMETEO im "Stasimo 10 " eine ganz eigene räumlich-zeitliche, damit aber auch inhaltliche – nämlich mythische – Tiefe signalisiert.
Sotelos Beethovenorientierung ist indes alles andere als eine allein durch Nono vermittelte. Vielmehr bilden, wie er im weiteren Verlauf seiner kurzen Ausführungen schreibt, "die ersten Noten von Beethovens Quartett das musikalische Fundament" seiner "Klangstrukturen", eine Feststellung, die sich bei näherer Betrachtung der Partitur bestätigt.
Gemeint ist der Beginn des 1. Satzes im a-moll-Quartett Beethovens: die "durch Sub- und Supersemitonum eingefasste Quinte", also die Tonfolge gis - a - f - e, die zuerst im Violoncello erklingt, um dann von den anderen Instrumenten, teilweise tonstufenversetzt, aufgegriffen bzw. weitergeführt zu werden.
Hier liegt nun aber auch der eigenschöpferische Ansatzpunkt Sotelos. Von den Strukturmerkmalen des Beethovenschen Eröffnungsmotivs ausgehend, gewinnt er ein umfassendes Tonrepertoire, in dem die Halbtonkonstellation durch Verschränkung des stufenversetzten Quintrahmens, dieser aber auch in der Umkehrung als Tetrachord nicht nur halbton-, sondern notwendig auch tritonus- und groß-septimengeprägt sich anreichert – um nur die per se dissonanten Intervalle zu nennen. Entscheidend erweitert wird das sich auf diesem Wege ergebende kompositorische Material aber durch die mikrotonale Auffächerung der Töne und damit naturgemäß auch der Intervalle. Dies ist indes keineswegs der letzte, gleichsam maßnehmende Schritt zur Konstituierung der Klanglandschaft des Soteloschen Streichquartetts. Ergibt sich doch gerade aus der Überformung des Beethovenschen Klangmaterials eine Brücke zum andalusischen 'cante hondo'. In den die Ausdrucks- und Strukturdimensionen des Werkes imaginativ nachstellenden Worten des Komponisten:
"Nach und nach zeichnet das Quartett in die Leere eine 'Klangkarte', deren Topographie sich gleichsam aus weiter Ferne an die Topographie des Beethovenschen Quartetts anpasst. Diese Tonlandschaft tradiert durch ihre innere Beschaffenheit die Klänge eines uralten Gesanges, eine invertierte Matrix, eine Materia-Mater respektive ein Gedächtnismaterial jenes 'Cante Hondo', der heute, schwermütig und klagend, den Kehlen der großen 'Cantaores', der Flamencosänger, entströmt."
Bewährt sich das Eingangsmotiv aus Beethovens a-moll-Quartett somit als Initialzündung für die Generierung eines komplexen Materialfundus, so setzt ausgehend hiervon notwendig erst die eigentliche gestaltende kompositorische Arbeit ein. Sie bildet schließlich ein ebenso komplexes wie äußerst kontrastreiches Gebilde aus.
Es entfaltet sich eine Ebene zunehmender Vertiefung und kontrastbestimmter Intensivierung, in der das Material aus Beethovens Streichquartett, der bald nach Beginn (T 27) erklingende und sich erstreckende "cante hondo" und die als "omaggio a Helmut Lachenmann" erklingende "Buleria" (T 85) — eine bestimmte, durch 3/4-, 6/8-Takt und synkopische Akzente charakterisierte Form des Flamenco — sowohl im Klangmaterial (Tetrachord und seine Derivate) wie ausdruckssteigernd ineinander greifen.
Gerade in den Kontrasten findet die Frage nach den Spuren der Schrift De gl'heroici furori Giordano Brunos Orientierung und annähernde Antwort. Gehört doch hier die Feststellung über den "ewigen Wechsel der Dinge", die Überzeugung, "dass das Ende eines Gegensatzes der Anfang des nächsten und der äußerste Punkt des einen der Beginn des anderen ist" zu dem Gewirk roter Fäden, das die Dialoge vernetzt."
Auch für die Fortzeugung der Kontraste spielt nun aber Beethoven auf fortschreitender gestalterischer Ebene ein wichtige Rolle. Sotelo hat sich auf dieser höheren Stufe erinnernder Korrespondenz namentlich vom langsamen Satz aus dem a-moll-Quartett inspirieren lassen. Es ist das "Molto adagio", Beethovens "Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart", der zwar thematisch nunmehr mikrotonal ausgefächert und damit stark verfremdet anklingt, der aber im wechselnd vorgeführten Kontrast mit dem nachfolgenden "Cantato a due cori" den formbildenden Gegensatz aus Beethovens "Molto adagio" aufgreift, wo "Heiliger Dankgesang" und "Neue Kraft fühlend" alternierend kontrastieren. Es ist die bereits als hervorgehobene erwähnte, "mit innigster Empfindung" erfüllte und vorzutragende musikalische Erstreckung, von der ausgehend die Komposition nunmehr ihrem Gipfel und Ende zustrebt. Man könnte von einem mit dem "Lontanissimo" anhebenden 2. Satz sprechen, liefe die unmittelbar vorangehende musikalische Entwicklung nicht in einem Pausentakt aus, der, weil spannungsbildend, das folgende "Lontanissimo" unmittelbar anbindet. Insofern könnte man dem Sotelo-Quartett integrierte Einsätzigkeit zusprechen.
Ausgehend von diesem "Lontanissimo" (T 149) entfalten sich Kontraste — auch der Tempi und der Dynamik — die vorangehende Kontraste weiterführen, jetzt aber besondere Tiefe ausschürfen. Sie werden überhöht von einem jetzt als "Corale: Eroici furori", "Senza tempo, delicatissimo, lentissimo, intenso" vorzutragenen, abschließenden Gesang (T 194), der unverkennbar mit dem "Lontanissimo" korrespondiert, der aber gleichwohl eine ganz eigene Dimension gewinnt. Während die "innigste Empfindung" des "Lontanissimo" näher bestimmt wird als "visione musicale della potenza angelica: l'Angelo ha cantato L'Eterno", präzisiert die Überschrift des "Corale": "mit innigster Empfindung: All'Angelo stesso suona terribile la propria luce".
Hier wird — überhöhend ins Göttliche gewendet — Klang, was die heroischen Leidenschaften charakterisiert: 'äußerster Widerstreit der Gegensätze' in der Seele selbst.
Wenn die Komposition aber danach auf ihren Anfang rückblendend schließt, so wird ein von Cesarino in Giordano Brunos De gl'heroici furori angesprochenes Grundgesetz strukturell-formal umgesetzt:
"[…] der ewige Wechsel der Dinge [bringt es] mit sich, dass sie sich vom Schlechten zum Guten, vom Guten zum Schlechten, von der Tiefe zur Höhe, von der Höhe zur Tiefe, von der Dunkelheit zum Glanz, vom Glanz zur Dunkelheit wenden, denn so will es die Ordnung der Natur."
Prof. Dr. Klaus Kropfinger
Mehr Informationen
Ausgabeart: Partitur (Sonderanfertigung)
Format: 232 x 305 mm
ISBN: 9783702414757
Seiten: 32
ISMN: 979-0-008-06621-4