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Johannes Maria Staud
Staud: Antilope
Libretto von: Durs Grünbein
UE36332
Ausgabeart: Klavierauszug
Format: 232 x 305 mm
Seiten: 320
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Beschreibung
Johannes Maria Staud über Die Antilope:
Die Oper erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, Victor, der ein entfernter Verwandter und Wiedergänger des Victor Krap (Samuel Beckett, Eleutheria) und des Schreibers Bartleby (Herman Melville) ist. Victor, ein Verweigerer und gesellschaftlich Außenstehender, entzieht sich einer immer klaustrophobischer werdenden Firmenfeier (inklusive sinnlos leerlaufendem Partygeschwätz) durch einen Sprung aus dem Fenster. In der Folge irrt Victor durch eine absurd verzerrte städtische Welt und gerät bei seiner ‚Reise durch die Nacht’ in die eigenartigsten Situationen, die sich ihm teils bedrohlich und entsetzlich, dann wiederum komisch und grotesk, stets auf der Kippe zwischen Realem und Irrealem, darstellen. Unser Mann wird dabei hin- und hergerissen zwischen einem beobachtenden Abseitsstehen, einem spontanen Eingreifen-Wollen (er ist nicht ohne moralische Reizbarkeit) und einem Sich-treiben-Lassen durch die Dynamik der kuriosen und sonderbaren Situationen, in die er stolpert. Am Ende dieser Reise kehrt Victor, dessen wahre Motivation ein Rätsel bleibt, jedenfalls wieder unerwartet und auf höchst eigenartige Weise auf die Firmenfeier zurück. Die Zeit ist während seiner Abwesenheit gleichsam stehengeblieben und die Party geht weiter, als ob nichts passiert sei. Die Möbius-Schleife hat sich geschlossen.
Ein verlorener Flaneur – Johannes Maria Staud im Gespräch mit Christian Kipper
Sie haben mit dem Dichter Durs Grünbein bereits das Musiktheaterwerk Berenice nach Edgar Allan Poe realisiert. Nun präsentieren Sie Ihre zweite gemeinsame Oper: Die Antilope. Wie kam es zu dem Libretto, das ja auf keiner vorhandenen Geschichte basiert, sondern ganz neu ist?
Diese Oper hat eine lange Vorgeschichte. Dominique Mentha sah 2006 Berenice in Heidelberg und nahm mit mir Kontakt auf. So entstand die Idee einer zweiten Oper als Kompositionsauftrag des Luzerner Theaters – nicht ohne Blick auf die damals geplante „Salle modulable”. Als dieses Projekt in den Hintergrund geriet, lag auch unsere Opernidee erst einmal auf Eis. Dann aber engagierte mich das Lucerne Festival für 2014 als Composer in residence, und das war eine ideale Gelegenheit, dafür auch unser Musiktheaterprojekt wieder aufzunehmen, das jetzt als Koproduktion mit dem Luzerner Theater gezeigt wird. Auf der Suche nach einem Sujet, das Durs und mich gleichermaßen fesselt, sind wir zunächst vielen Anregungen aus Literatur und Film nachgegangen, wobei aber von Beginn an feststand, dass wir nicht wie bei Berenice einen bereits vorhandenen Stoff aufgreifen werden. Zur Spurensuche lasen wir unter anderem Alice in Wonderland und Witold Gombrowicz’ Ferdydurke. Weil ich ein großer Verehrer von Maurice Ravels „L’Enfant et les sortilèges” bin, dachten wir zunächst an eine Geschichte, in der ein Kind über verschiedene Begegnungen quasi über Nacht erwachsen wird. Allerdings geriet ein solches Sujet aus mehreren Gründen wieder aus unserem Fokus. So überlegten, diskutierten und suchten wir weiter, lasen unter anderem Eleutheria von Samuel Beckett, Herman Melvilles Bartleby und stießen auf Scorseses After Hours, bis sich Victor als unser Protagonist immer stärker herauskristallisierte: ein junger Mann, der sich in ungewöhnlicher Weise seiner Umwelt verweigert.
Victor, die einzige Figur, die in dieser Oper einen Namen trägt, ist ein im Grunde tragischer Held: Er springt bei einer Firmenfeier aus dem Fenster und trifft in einem Zustand besonderer Fremdheit auf verschiedene Figuren, ohne seine Isolation durchbrechen zu können. Was ist das für eine Figur?
Victor ist in unserem kreisförmig angelegten Werk wie der rote Faden, der den Zusammenhalt der Episoden garantiert. Das übrige Personal, das aus exemplarischen, holzschnittartig überzeichneten Typen besteht, wie wir sie wohl alle kennen, bleibt gleichsam Staffage, die Folie, auf der Victors seltsame Interaktionen mit seiner Umwelt exemplarisch nachgezeichnet werden. Victor begehrt mit Nachdruck gegen eine klar definierte Rollenzuweisung auf, die für seine Umwelt so unantastbar scheint. Er will nicht mitspielen im gesellschaftlichen System, bricht aus und spricht daher in einer großen dadaistischen Befreiungsaktion auch eine andere Sprache, die für seine Umwelt unverständlich bleiben muss. Gleichwohl bemüht er sich immer wieder um Kontaktaufnahme in den unterschiedlichen Situationen, in die er hineinstolpert, – aber eben auf seine Weise. Victor ist kein «klassischer» Außenseiter, kein Verstoßener wie etwa Wozzeck oder Billy Budd. Ich sehe ihn eher als einen Flaneur, der durch die Welt geht, nirgendwo dazugehört, dabei aber genau beobachtet. Seine Verlorenheit darf dabei durchaus als Symptom der Moderne gelesen werden, in der die Kommunikation zunehmend verflacht, zur Floskelhaftigkeit gerinnt. Bis zum Ende bleibt Victor ein Rätsel, das macht ihn zu einer musikalischen Figur.
Es gibt zwar eine Szene, die im Zoo spielt, aber die erklärt kaum den Titel. Warum heißt das Werk Die Antilope?
Im Libretto tauchen, wenn man genau hinhört, viele Tierbilder auf. Tiere sind ja Wesen, mit denen wir mehr oder weniger zusammenleben und die eine eigene Kommunikation besitzen, der wir nur begrenzt folgen können. Victor mit seiner ganz eigenen Sprache nähert sich diesen Wesen irgendwie an. Vielleicht steht ihm da die Antilope als ein zähes, sprunghaftes Tier, das sich oft auf der Flucht befindet, um sein Leben fürchtet, besonders nahe? Das Kauderwelsch, das Victor spricht, Durs und ich nannten es während des Arbeitsprozesses das „Antilopische”, beruht im Wesentlichen auf verschiedenen Kunstsprachen. In einer Szene etwa spricht er Esperanto, was den Reiz hat, dass der Sinn der Wörter auch für denjenigen durchscheint, der diese Sprache nicht beherrscht. Beim Entwerfen von Victors Sprache – im Grunde spricht er in jedem Bild eine andere – kombinierten wir unseren Spieltrieb, unsere Freude an phonetischen Besonderheiten mit einer systematischen Verrätselung, einer Codierung von versteckten Inhalten. Es ist nicht wichtig, ob der Zuschauer das System durchschaut, wesentlich ist vielmehr, die scheiternden Kommunikationsversuche des Helden in den Mittelpunkt zu stellen. Nur einmal erhält Victor eine Antwort in seiner Sprache – allerdings von einer singenden Skulptur – der entscheidende Wendepunkt in unserer Oper.
Welche Aufgabe fällt innerhalb des Werks der Musik zu?
Über das Verhältnis zwischen Text und Musik haben wir lange nachgedacht. Wir wollten keine Literaturoper im herkömmlichen Sinn kreieren, aber auch keine Verweigerung von Handlung zugunsten statischer Musikbilder. Es sollte etwas dazwischen sein, eine Schwebe zwischen Narration und Zuspitzung, zwischen Realismus und Absurdität. Die Musik muss die Textverständlichkeit des Librettos berücksichtigen, darf es aber auch mit Bedeutung aufladen, darf irreleiten, verführen und Nicht-Gesagtes andeuten. An einigen Stellen wird gesprochen, weil das Rezitativ in meiner Art des Komponierens keinen Platz hat. Neben den einzelnen Situationen werden auch die Figuren mit Hilfe der Musik charakterisiert, wobei ich mich, aber das geht wohl jedem Komponisten so, vor Klischeefallen zu hüten hatte. Wichtig ist mir allerdings, dass es in der Komposition auch einen Rest gibt, der sich nicht erklären lässt, etwas Unerwartetes, das uns fasziniert und fesselt.
Sie besitzen vor allem Erfahrungen auf dem Gebiet der Instrumentalmusik. Im Moment komponieren Sie ein Violinkonzert für das Lucerne Festival. Was muss man als Opernkomponist „anders” machen?
Meine Instrumentalmusik beruht im Grunde auf dramatischen Prinzipien; es geht immer um einen genau kalibrierten Spannungsaufbau. Auch ohne Text ist jede meiner Kompositionen ein kleines Drama. Gleichwohl muss man bei einer Oper anders vorgehen, weil ja die Szene mitzudenken ist. Die Musik darf sich da nicht nur an eigenen Gesetzmäßigkeiten orientieren wie in einem Instrumentalwerk. Die dramatische Situation ist für die Vertonung entscheidend, aber auch sehr inspirierend für mich als Komponist. Daher habe ich bei der Entwicklung des Librettos tatkräftig mitgewirkt, mich mit Durs ständig in einem Klima des tiefen künstlerischen Vertrauens ausgetauscht. Es fing immer mit einer vagen Stimmung an, die wir dann zunehmend präzisierten. Für einige Bilder benötigte ich mehr Text, für andere weniger. Dabei kam mir die Fähigkeit von Durs, Wesentliches ganz knapp und poetisch pointiert zu sagen, ungemein entgegen. Für mich ist es uninteressant, einen fertigen Text zu bekommen, den ich dann vertonen soll. Ich brauche die Inspiration durch Ideen, Austausch und Zusammenarbeit. Dementsprechend ist das Libretto gleichzeitig mit der Musik entstanden.
Christian Kipper, 08/2014
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Ausgabeart: Klavierauszug
Format: 232 x 305 mm
Seiten: 320