Gustav Mahler
Das Lied von der Erde
Eine Symphonie (1908)
für höhere und tiefere Singstimme mit Klavier
Dauer: 60'
Übersetzer: Steuart Wilson, Madeleine Marchant, Magali Barbet
Text bearbeitet von: Gustav Mahler
Herausgeber: Stephen E. Hefling
Dichter der Textvorlage: Hans Bethge
Instrumentierungsdetails:
für höhere und tiefere Singstimme mit Klavier
Mahler - Das Lied von der Erde für höhere und tiefere Singstimme mit Klavier
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Gustav Mahler
Mahler: Das Lied von der Erde für höhere und tiefere Singstimme mit Klavier
UE33906
Instrumentierung: für höhere und tiefere Singstimme mit Klavier
Ausgabeart: Noten
Sprache: Deutsch
Hörbeispiel
Werkeinführung
„Der Tod, zu dessen Geheimnis seine Gedanken und Empfindungen so oft ihren Flug genommen hatten, war plötzlich in Sicht gekommen – Welt und Leben lagen nun im düsteren Schatten seiner Nähe.” So interpretierte Bruno Walter im Herbst 1907 die Missgeschicke, die Mahler kurz zuvor ereilt hatten. Bekanntlich wurde dieser in der ersten Jahreshälfte mit drei Krisensituationen konfrontiert, die sein Leben grundlegend verändern sollten. Im Frühling demissionierte er nach zehn außergewöhnlichen Jahren als Direktor der K. und k. Hofoper Wien, „weil ich das Gesindel nicht mehr aushalten kann”. Am 21. Juni 1907 unterzeichnete er den Vertrag für seinen Posten in der Neuen Welt, an der Metropolitan Opera in New York. Neun Tage darauf zog sich „der Sommerkomponist” wie gewohnt in sein Feriendomizil in Maiernigg am Wörthersee zurück. Innerhalb von weniger als zwei Wochen jedoch erlag seine geliebte ältere Tochter einem heftigen Ausbruch von Scharlach und Diphtherie. Kurz darauf erlitt Alma Mahler einen Zusammenbruch aus Kummer und Schwäche, worauf der örtliche Arzt zu Hilfe gerufen wurde. Er untersuchte auch Mahler und stellte einen Herzklappenfehler fest, den ein Spezialist in Wien später bestätigte. Dieser Umstand war an sich noch nicht lebensbedrohlich, es war jedoch hinlänglich bekannt, dass ein enger Zusammenhang zwischen Herzklappenfehler und bakteriell bedingter Endokarditis (Herzinnenhautinfektion) bestand – einer Krankheit, die vor der Entdeckung von Antibiotika ausnahmslos letal verlief und die vier Jahre später zu Mahlers Tod führen sollte. Die Familie Mahler verließ Maiernigg fluchtartig und verbrachte den Rest des Sommers 1907 in dem abgelegenen Weiler Schluderbach (nahe Toblach in Südtirol).
Laut Alma Mahlers Erinnerungen hatte ein alter Freund der Familie (Dr. Theobald Pollak) Mahler „vor Jahren […] die neu übersetzte ‚Chinesische Flöte‘ gebracht (Hans Bethge). Diese Gedichte gefielen Mahler außerordentlich und er hatte sie sich für später zurechtgelegt. […] jetzt überfielen ihn diese maßlos traurigen Gedichte, und er skizzierte schon in Schluderbach, auf weiten einsamen Wegen, die Orchesterlieder, aus denen ein Jahr später Das Lied der Erde werden sollte!” Almas Aufzeichnungen entsprechen jedoch – zuweilen bewusst – nicht immer den Tatsachen. Alfred Roller, Mahlers bevorzugter Regisseur an der Hofoper, berichtet anlässlich eines Besuchs in Schluderbach über den Komponisten: „Dieser Sommer blieb ohne künstlerische Frucht.” Außerdem war im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel die Veröffentlichung von Bethges Die chinesische Flöte erst am 5. Oktober 1907 angezeigt, als Mahler bereits längst aus Tirol nach Wien zurückgekehrt war. Selbst wenn er einen Vorabdruck erhalten haben sollte (was eher unwahrscheinlich ist), legen sowohl Mahlers spätere briefliche Mitteilungen als auch die datierten Manuskripte seines zunächst noch unbetitelten neuen Werks nahe, dass es großteils oder zur Gänze im Sommer 1908 entstanden ist. Seltsamerweise hat Mahler die Texte, die so gut für sein Werk geeignet waren, ausgerechnet in Gedichten aus der T’ang-Dynastie des 8. Jahrhunderts gefunden. Diese Verse sind jedoch nicht „neu übersetzt”, sondern vielmehr Bearbeitungen bereits existierender deutscher bzw. französischer Übersetzungen, und daher vom originalen Chinesisch zwei- bis dreimal weiter entfernt. Bethge nennt sie denn auch zutreffend „Nachdichtungen”. Er war kein Sinologe, sondern ein so genannter „Einfühlungsaesthetiker”, der seine Intention so beschrieb: „Es kommt nicht darauf an, ein Gedicht wörtlich zu übertragen, es kommt vielmehr darauf an, den Geist, den Stil, die Melodie eines Gedichtes in der fremden Sprache einigermaßen neu erstehen zu lassen.” Das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht der Lyrik des ausgehenden 19. Jahrhunderts verwandt, angereichert mit orientalischen Anklängen. Aus der Sammlung von 83 Nachdichtungen aus der Feder von ursprünglich 38 Dichtern wählte Mahler schließlich sieben aus und formte daraus eine Allegorie über die Flüchtigkeit des Lebens und das Eingehen in die Unendlichkeit. Wie schon bei den Wunderhorn- und den Rückert-Liedern griff er auch hier gestaltend in die Textvorlagen ein, um ihnen den entsprechenden Ausdrucksgehalt zu verleihen (so sind die bemerkenswerten Schlussverse von Der Abschied, beginnend mit „Still ist mein Herz, und harret seiner Stunde” fast zur Gänze seine eigenen Worte). Dennoch durchzieht ein orientalisches Grundprinzip Das Lied von der Erde mittels seiner Yin-Yang-Polarität mit den Gegensatzpaaren von Nacht / Tag, Herbst / Frühling, Jugend / Tod, Rausch /Meditation, sowie musikalisch in der Aufspaltung der Stimmlagen in hoch/tief (üblicherweise Tenor / Alt; s. u.). Dazu kommt die in allen sechs Sätzen vorherrschende halbtonlose Pentatonik, das in Asien am weitesten verbreitete Tonalitätssystem, und außerdem macht sich Mahler hier die Technik der Heterophonie (Adorno nennt sie „unscharfes Unisono”) zunutze.
Zwei ergreifende Briefe an Bruno Walter bezeugen, wie schwer es Mahler im Sommer des Jahres1908 gefallen ist, das Komponieren wieder aufzunehmen. Am 18. Juli schreibt er: „Aber, ohne daß ich Ihnen hier etwas zu erklären oder zu schildern versuche, wofür es vielleicht überhaupt keine Worte gibt, will ich Ihnen nur sagen, daß ich einfach mit einem Schlage alles an Klarheit und Beruhigung verloren habe, was ich mir je errungen; und daß ich vis à vis de rien stand und nun am Ende eines Lebens als Anfänger wieder gehen und stehen lernen muß.” Besonders, dass er von nun an auf ärztliche Anordnung jegliche körperlicher Ertüchtigung (also auch seine gewohnten anstrengenden Fußmärsche) unterlassen sollte, machte ihm zu schaffen: „Am Schreibtisch kann ich nicht arbeiten. Ich brauche für meine innere Bewegung die äußere. […] Ich gestehe, dies ist – so äußerlich es scheint – die größte Kalamität, die ich mich getroffen. Ich muß eben ein neues Leben beginnen – bin auch da völliger Anfänger.” Dennoch bewältigte er die Umstellung. Anfang September, nur sechs Wochen später, konnte er Walter berichten: „Ich war sehr fleißig (woraus Sie ersehen, daß ich mich so ziemlich ‚akklimatisiert‘ habe). Ich weiß es selbst nicht zu sagen, wie das Ganze benamst werden könnte. Mir war eine schöne Zeit beschieden und ich glaube, daß es wohl das Persönlichste ist, was ich bis jetzt gemacht habe.”
Mahlers Scheu davor, dieser seiner neuesten Komposition einen Titel zu geben, gründet sich laut Berichten einiger seiner Zeitgenossen auf einer abergläubischen Angst vor einer „Neunten” – die für Beethoven und Bruckner ja die letzte ihrer Gattung gewesen war.
Im Winter 1909–1910 gab Mahler dem Werk dann schließlich den Titel „Das Lied von der Erde”, und zwar auf demselben Blatt Papier, auf dem er die so sehr gefürchtete Nummer „9” einer im Sommer zuvor vollendeten Symphonie zuteilte.
Stephen E. Hefling
März 2010
(deutsche Übersetzung von Renate Stark-Voit)
Laut Alma Mahlers Erinnerungen hatte ein alter Freund der Familie (Dr. Theobald Pollak) Mahler „vor Jahren […] die neu übersetzte ‚Chinesische Flöte‘ gebracht (Hans Bethge). Diese Gedichte gefielen Mahler außerordentlich und er hatte sie sich für später zurechtgelegt. […] jetzt überfielen ihn diese maßlos traurigen Gedichte, und er skizzierte schon in Schluderbach, auf weiten einsamen Wegen, die Orchesterlieder, aus denen ein Jahr später Das Lied der Erde werden sollte!” Almas Aufzeichnungen entsprechen jedoch – zuweilen bewusst – nicht immer den Tatsachen. Alfred Roller, Mahlers bevorzugter Regisseur an der Hofoper, berichtet anlässlich eines Besuchs in Schluderbach über den Komponisten: „Dieser Sommer blieb ohne künstlerische Frucht.” Außerdem war im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel die Veröffentlichung von Bethges Die chinesische Flöte erst am 5. Oktober 1907 angezeigt, als Mahler bereits längst aus Tirol nach Wien zurückgekehrt war. Selbst wenn er einen Vorabdruck erhalten haben sollte (was eher unwahrscheinlich ist), legen sowohl Mahlers spätere briefliche Mitteilungen als auch die datierten Manuskripte seines zunächst noch unbetitelten neuen Werks nahe, dass es großteils oder zur Gänze im Sommer 1908 entstanden ist. Seltsamerweise hat Mahler die Texte, die so gut für sein Werk geeignet waren, ausgerechnet in Gedichten aus der T’ang-Dynastie des 8. Jahrhunderts gefunden. Diese Verse sind jedoch nicht „neu übersetzt”, sondern vielmehr Bearbeitungen bereits existierender deutscher bzw. französischer Übersetzungen, und daher vom originalen Chinesisch zwei- bis dreimal weiter entfernt. Bethge nennt sie denn auch zutreffend „Nachdichtungen”. Er war kein Sinologe, sondern ein so genannter „Einfühlungsaesthetiker”, der seine Intention so beschrieb: „Es kommt nicht darauf an, ein Gedicht wörtlich zu übertragen, es kommt vielmehr darauf an, den Geist, den Stil, die Melodie eines Gedichtes in der fremden Sprache einigermaßen neu erstehen zu lassen.” Das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht der Lyrik des ausgehenden 19. Jahrhunderts verwandt, angereichert mit orientalischen Anklängen. Aus der Sammlung von 83 Nachdichtungen aus der Feder von ursprünglich 38 Dichtern wählte Mahler schließlich sieben aus und formte daraus eine Allegorie über die Flüchtigkeit des Lebens und das Eingehen in die Unendlichkeit. Wie schon bei den Wunderhorn- und den Rückert-Liedern griff er auch hier gestaltend in die Textvorlagen ein, um ihnen den entsprechenden Ausdrucksgehalt zu verleihen (so sind die bemerkenswerten Schlussverse von Der Abschied, beginnend mit „Still ist mein Herz, und harret seiner Stunde” fast zur Gänze seine eigenen Worte). Dennoch durchzieht ein orientalisches Grundprinzip Das Lied von der Erde mittels seiner Yin-Yang-Polarität mit den Gegensatzpaaren von Nacht / Tag, Herbst / Frühling, Jugend / Tod, Rausch /Meditation, sowie musikalisch in der Aufspaltung der Stimmlagen in hoch/tief (üblicherweise Tenor / Alt; s. u.). Dazu kommt die in allen sechs Sätzen vorherrschende halbtonlose Pentatonik, das in Asien am weitesten verbreitete Tonalitätssystem, und außerdem macht sich Mahler hier die Technik der Heterophonie (Adorno nennt sie „unscharfes Unisono”) zunutze.
Zwei ergreifende Briefe an Bruno Walter bezeugen, wie schwer es Mahler im Sommer des Jahres1908 gefallen ist, das Komponieren wieder aufzunehmen. Am 18. Juli schreibt er: „Aber, ohne daß ich Ihnen hier etwas zu erklären oder zu schildern versuche, wofür es vielleicht überhaupt keine Worte gibt, will ich Ihnen nur sagen, daß ich einfach mit einem Schlage alles an Klarheit und Beruhigung verloren habe, was ich mir je errungen; und daß ich vis à vis de rien stand und nun am Ende eines Lebens als Anfänger wieder gehen und stehen lernen muß.” Besonders, dass er von nun an auf ärztliche Anordnung jegliche körperlicher Ertüchtigung (also auch seine gewohnten anstrengenden Fußmärsche) unterlassen sollte, machte ihm zu schaffen: „Am Schreibtisch kann ich nicht arbeiten. Ich brauche für meine innere Bewegung die äußere. […] Ich gestehe, dies ist – so äußerlich es scheint – die größte Kalamität, die ich mich getroffen. Ich muß eben ein neues Leben beginnen – bin auch da völliger Anfänger.” Dennoch bewältigte er die Umstellung. Anfang September, nur sechs Wochen später, konnte er Walter berichten: „Ich war sehr fleißig (woraus Sie ersehen, daß ich mich so ziemlich ‚akklimatisiert‘ habe). Ich weiß es selbst nicht zu sagen, wie das Ganze benamst werden könnte. Mir war eine schöne Zeit beschieden und ich glaube, daß es wohl das Persönlichste ist, was ich bis jetzt gemacht habe.”
Mahlers Scheu davor, dieser seiner neuesten Komposition einen Titel zu geben, gründet sich laut Berichten einiger seiner Zeitgenossen auf einer abergläubischen Angst vor einer „Neunten” – die für Beethoven und Bruckner ja die letzte ihrer Gattung gewesen war.
Im Winter 1909–1910 gab Mahler dem Werk dann schließlich den Titel „Das Lied von der Erde”, und zwar auf demselben Blatt Papier, auf dem er die so sehr gefürchtete Nummer „9” einer im Sommer zuvor vollendeten Symphonie zuteilte.
Stephen E. Hefling
März 2010
(deutsche Übersetzung von Renate Stark-Voit)