

Darius Milhaud
L'Homme et son désir
Kurz-Instrumentierung: 2 1 2 0 - 0 1 0 0 - Schl(20), Hf, Str(1 1 1 1 1)
Dauer: 25'
Solisten:
Sopran, Alt, Tenor, Bass
Instrumentierungsdetails:
kleine Flöte
Flöte
Oboe
Klarinette in B
Bassklarinette in B
Trompete in C
Schlagzeug (19): Becken, Kastagnetten, große Trommel (A), Baskische Trommel, Provenzalisches Tamburin, Tenortrommel, Paitsche, Triangel, Rührtrommel,
Schellen und Becken (können von den Tänzern selbst gespielt werden), Windmaschine, Hammer mit Brett, kleine Trommel, Pfeife, Sirene, Tamtam, Becken (B), Kastagnetten, große Trommel (B)
Harfe
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello
Kontrabass
Milhaud - L'Homme et son désir
Gedruckt/Digital
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Darius Milhaud
Milhaud: L'Homme et son désir für 16 Soloinstrumente und Schlagzeug - op. 48Instrumentierung: für Soli und Orchester
Ausgabeart: Klavierauszug

Darius Milhaud
Milhaud: L'Homme et son Désir für Soli:Sopran,Alt,Tenor,Bass und Orchester - op. 48Instrumentierung: für Soli und Orchester
Ausgabeart: Studienpartitur
Hörbeispiel
Werkeinführung
L'homme et son désir ist das Ergebnis einer Arbeit dreier Freunde, die während des Jahres 1917 jeden Sonntag auf der Rio de Janeiro beherrschenden Sierra ein Picknick von Ideen, Musik und Zeichnungen gehalten hatten. Dieses kleine Drama ist aus der Stimmung des brasilianischen Waldes erwachsen, in dem wir gewissermaßen untergegangen waren und der fast die einförmige Beschaffenheit eines Elements besitzt. Eigenartig, wenn die Nacht einbricht und der Wald von Unruhe, Schreien und Schimmern erfüllt ist. Eine dieser Nächte beabsichtigt unsere Dichtung darzustellen. Wir haben nicht versucht, die unentwirrbare Fülle der „floresta“ mit fotografischer Deutlichkeit wiederzugeben, sondern sie ganz einfach wie einen Teppich auf die vier Ebenen unserer Bühne gelegt: etwas Violett, Grün und Blau um das zentrale Schwarz. Der Zuschauer sieht die Ebenen vertikal übereinander angeordnet, genauso wie ein Bild oder ein Buch, das man liest. Oder – wenn man will – eine Notenseite, auf der jede Handlung als eigene Zeile notiert ist. Auf der höchsten Ebene wandeln die Stunden der Nacht, schwarz und mit Gold bedeckt. Darunter wird der Mond von einer Wolke über den Himmel geführt, wie einer Dame die Dienerin vorangeht. Ganz unten, in den Wässern des Sumpfes, folgt der Widerschein des Mondes und seiner Dienerin dem regelmäßigen Gang des himmlischen Paares. Das eigentliche Drama spielt auf der mittleren Ebene, zwischen Himmel und Wasser. Die Hauptfigur ist der Mensch; wieder den ursprünglichen Mächten verfallen, entführen ihm Nacht und Schlaf Namen und Gesicht. Er erscheint, scheinbar geführt von zwei verschleierten und einander gleichenden Gestalten, die ihn durch Herumdrehen verwirren, wie ein Kind beim Blindekuh-Spiel. Sie stellen das Bild und die Sehnsucht, die Erinnerung und die Illusion dar. Die Beiden verspotten einen Augenblick den Menschen, dann verschwinden sie.
Der Mensch bleibt stehen; im Schein des tropischen Mondes schläft er mit ausgestreckten Armen wie ein Ertrunkener in tiefem Gewässer. Und alle Tiere, alle Geräusche des ewigen Urwaldes heben sich aus dem Orchester, sehen ihn an und lassen ihre Stimme in seinem Ohr ertönen: die Schellen, die Flöte des Pan, die Streicher und die Becken.
Der Mensch beginnt sich in seinem Traum zu regen. Er bewegt sich und tanzt. Er tanzt den ewigen Tanz der Sehnsucht, des Verlangens und der Verbannung, der Gefangenen und verlassenen Geliebten, den Tanz, der die Fiebrigen, Schlaflosen peinigt und sie Nächte hindurch auf ihren Veranden auf- und abgehen lässt, den Tanz der in ihren Käfigen eingesperrten Tiere, die sich immer und immer wieder gegen das unüberwindbare Gitter werfen. Bald ist es eine Hand, die den Menschen ergreift und zurückholt, bald ein Duft, in dem sich jede Energie auflöst. Das Thema der Besessenheit wird immer heftiger, rasender und nun – in jener feierlichen und tiefen Finsternis vor Tagesanbruch – kommt eine der weiblichen Gestalten zurück und kreist wie verzaubert um den Menschen. Ist es eine Tote? Ist es eine Lebende? Der Schlafende fasst einen Zipfel ihres Schleiers, und während sie sich um ihn dreht, hüllt sie ihn mehr und mehr in das Gewebe, bis er in ihm wie in einen Kokon versponnen steht und sie fast nackt scheint. Vereinigt durch den letzten Fetzen eines Stoffes ähnlich unseren Träumen, bedeckt die Frau das Gesicht des Mannes mit ihrer Hand. Beide entfernen sich. Nur noch der Widerschein des Mondes und seiner Dienerin sind ganz unten sichtbar.
Die schwarzen Stunden haben ihren Weg abgeschritten, die ersten weißen Stunden werden sichtbar.
Paul Claudel