

Karlheinz Stockhausen
Schlagtrio
Stockhausen - Schlagtrio für Klavier und 2 x 3 Pauken
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Karlheinz Stockhausen
Stockhausen: Schlagtrio für Klavier und 2 x 3 Pauken - Nr. 1/3Instrumentierung: für Klavier und 2 x 3 Pauken
Ausgabeart: Spielpartitur
Hörbeispiel
Werkeinführung
Kaum hat sich die Zwölftonmusik einige Sympathien verschafft, kaum sind ihre konstruktiven Grundsätze aus den Nebeln der Geheimwissenschaft herausgetreten und tonsetzerisch fassbar geworden, da treten in Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien und Amerika junge Komponisten auf, denen das bisherige System der Zwölftontechnik nicht mehr genügt und die der musikalischen Gestaltfähigkeit der zwölf Töne neue Synthesen abgewinnen wollen. Diese Komponisten (Pierre Boulez, Karel Goyvaerths, Karlheinz Stockhausen, teilweise auch Luigi Nono und der Amerikaner John Cage) gehen zwar von der Ordnung der zwölf Töne aus, aber sie ordnen sie nicht mehr im Sinne der Schönbergschen Reihentechnik, sondern setzen sie in Beziehung zu den andern Elementen der Musik.
Das Verfahren der klassischen Zwölftontechnik bezieht sich auf die Melodik und Harmonik; Rhythmus und Dynamik bleiben davon unberührt. Zwar gibt es schon sehr früh, in den Klavierstücken op. 11 von Schönberg, die Idee einer integralen Rhythmik, d. h. einer Rhythmik, die sich aus kleinsten Teilen zusammensetzt und dann etwa so aussieht wie der fluktuierende Rhythmus unserer Sprache, unserer Prosasprache. Schönberg hat den Gedanken der freien, gewissermaßen melisch fließenden Rhythmik nicht weiterverfolgt, seine späteren Werke zeigen ein rhythmisches Bild, das sich nicht grundsätzlich von dem Beethovens oder Brahms' unterscheidet. Ähnlich steht es mit der Dynamik bei Schönberg, die zwar im Einzelnen auch die Züge der Atomisierung aufweist, im Ganzen aber dem subjektiven Empfinden des Ausdrucksmusikers entspringt. Über Schönberg hinaus führt die Technik Anton Weberns, der zum ersten Mal die Töne aus ihrem melodischen und affektiven Zusammenhang herausgelöst und in „punktuellen“ Bildungen isoliert hat. So ist es kein Zufall, dass diese jüngeren Komponisten ihren geistigen Ahnherrn nicht in Schönberg, sondern in dem fast unbekannt gebliebenen Anton Webern sehen, dessen Werk auch heute noch nahezu unerschlossen ist.
In der Schule Messiaens wurde zuerst der Gedanke entwickelt, das Zwölftonprinzip des ständigen Wechsels auch auf die anderen Elemente der Musik (Rhythmik, Dynamik, Klanglage und Agogik) auszudehnen, und zwar so, dass sie alle in strenger Ordnung aufeinander bezogen sind. Gegeben sind dabei nicht bloß die zwölf Töne, wie bisher, sondern dazu noch die verschiedenen rhythmischen Werte, die verschiedenen Grade der dynamischen Intensität (pp, p, mf, f usw.), die verschiedenen Oktavlagen der Töne (jeder Ton kann in sieben verschiedenen Oktaven erscheinen) und die charakteristischen Ausdehnungs- und Anschlagsformen der Töne (staccato, tenuto, legato usw.). Entscheidend für die Struktur des Tonsatzes wird die irrationale Rhythmik, wie sie Messiaen ausgebildet hat, sowie die Auswertung der Oktavlagen, die schon bei Webern zu weiträumigen „punktuellen“ Bildungen führte. In diesem System der vollständig organisierten Materie fällt der schöpferischen Phantasie die Aufgabe zu, Konstruktionspläne zu schaffen, die nicht künstlich erdacht sind, sondern real aus den gegebenen Elementen der Musik hergestellt werden. Die konstruktive Phantasie kann sich ungezählte solcher Pläne ausdenken. Das Orchesterwerk Polyphonie X von Boulez z. B. kreuzt die Elementreihen in der Form des Buchstabens X; ähnlich verfährt das Kreuzspiel von Stockhausen mit den Oktavlagen. Das Wesentliche in dieser Musik der organisierten Elemente bleibt die feste Ordnung eines vorgegebenen Variationsprinzips. Der klangliche Gesamteindruck ist der eines freien, sich ständig selbst ausgleichenden Tonspiels, das keine Entwicklungen kennt, weder formale noch seelische, und in seiner eigentümlichen Statik von aller herkömmlichen Musik abweicht.
Auf der neuartigen Ordnungsidee, die alle Elemente der Musik einbezieht, beruht auch das 1952 geschriebene Schlagtrio von Karlheinz Stockhausen. Es ist das dritte Werk des Komponisten, der sich darin „nichts anderes vorgestellt hat als eine Ordnung von Tönen“, eine Ordnung freilich, die zu schaffen er „die äußerste Anstrengung“ gemacht hat. Da das Stück sich den bekannten Form- und Hörkategorien nicht einordnet, kann es auch nicht danach beurteilt werden. Der Komponist denkt an einen Hörer, der imstande ist, sich objektiv auf einen reinen Musikvorgang zu konzentrieren, der jede aufkommende Assoziation und jedes Gefühl sofort abweist und nicht auf eine Entwicklung oder bereits bekannte Form wartet, sondern „wunschlos diese Musik hört, wie sie ist. […] Gewiss ist das das Schwerste, was ich verlangen kann; ich nenne so etwas ‚meditatives Hören’ im Gegensatz zum ‚Wunsch-Hören’.“
Dr. Herbert Eimert
Programmheft Musica viva, München, 23. März 1953