
Julian Yu
Atanos
Dauer: 11'
Instrumentierungsdetails:
Flöte (+Picc)
Klarinette in B
Violine
Viola
Violoncello
Atanos ist 1995 vom Melbourne International Festival of the Arts in Auftrag gegeben worden mit dem Gedanken, daß eine Gruppe französischer Musiker es in einem der vier Konzerte zum Gedenken an Hanson Dyer aufführen würde. Diese Konzerte fanden nie statt. Aber glücklicherweise wurde das Stück nicht vergessen und letztendlich von hervorragenden australischen Künstlern uraufgeführt.
Das Stück zeichnet kein außermusikalisches Programm nach, sondern die Musik folgt ihren eigenen, inneren Gesetzen. Julian Yu war schon immer fasziniert vom hohen Grad der Organisation, Disziplin und Formalisierung der klassischen, mitteleuropäischen Musik. Jene Aspekte glaubt Yu auch in der chinesischen Volksmusik zu finden. Für manche bedeuten Organisation und Disziplin einen einengenden Zwang und das Ende von Kreativität. Für Yu sind sie allerdings sehr wichtig. Sie erlauben dem Komponisten eine erweiterte Freiheit und Kreativität, eben weil Freiheit und Kreativität sich erst auf dem Hintergrund strenger Regeln produktiv abheben können.
Beim Komponieren des Stückes bediente sich Yu einer chinesischen Verzierungstechnik, bei der ein vertrautes Original so umfassend dem Variationsprinzip ausgesetzt wird, daß sich der Prozeß der Variation zur musikalischen Aussage verselbständigt. Damit versuchte Yu dem Eindruck oberflächlicher Anleihe an traditionelle chinesische Klangmuster zu entgehen. Yu würdigt an seinem Lehrer, dem japanischen Komponisten Joji Yuasa, gerade jenes Verhältnis zur asiatischen Tradition, das sich der Geschichte kompositionstechnischer Fragestellungen und Grundsatzüberlegungen annimmt und weniger der exotischen Klangwelt asiatischen Ursprungs.
Angesichts der immer wieder populären Vermarktung asiatischer Exotica in der westlichen Welt - und zunehmend auch unterstützt von Komponisten asiatischer Herkunft selber - stellt Atanos eine erneute Auseinandersetzung des Komponisten mit solchen Gegensatzpaaren wie Tradition/Originalität, Autonomie/Heteronomie und euro-päische/asiatische Tradition dar.