Wolfgang Rihm
Die Eroberung von Mexico
Kurz-Instrumentierung: 3 4 4 1 - 3 3 3 1 - Pk, Schl(5), Hf, Klav, E-Org, E-Bass(2), Vl(2), Va(2), Vc(6), Kb(4) - Windmaschine
Dauer: 120'
Übersetzer: Brigitte Weidmann
Dichter der Textvorlage: Antonin Artaud
Libretto von: Wolfgang Rihm
Chor: Bewegungschor (als Spanier, Azteken, Tier und Mensch ... Doubles...), vom Tonband: SATB (auch Sprechchor, Flüsterchor)
Rollen:
Montezuma
dramatischer Sopran / Cortez
Bariton / Der schreiende Mann / Malinche
die Dolmetscherin
stumm
tanzend / im Orchester: 1 sehr hoher Sopran
1 Alt
2 Sprecher
Instrumentierungsdetails:
1. Flöte (+Picc)
2. Flöte (+Picc)
3. Flöte (+Picc)
1. Oboe
2. Oboe
3. Oboe
Englischhorn
1. Klarinette in A
2. Klarinette in A
3. Klarinette in A
Bassklarinette in B
Kontrafagott
1. Horn in F
2. Horn in F
3. Horn in F
1. Trompete in C
2. Trompete in C
3. Trompete in C
1. Posaune
2. Posaune
3. Posaune
Kontrabasstuba
Pauken
1. Schlagzeug
2. Schlagzeug
3. Schlagzeug
4. Schlagzeug
5. Schlagzeug
Harfe
Klavier
Elektro-Orgel
1. Elektrobass
2. Elektrobass
1. Violine
2. Violine
1.Viola
2. Viola
1. Violoncello
2. Violoncello
3. Violoncello
4. Violoncello
5. Violoncello
6. Violoncello
1. Kontrabass
2. Kontrabass
3. Kontrabass
4. Kontrabass
Chor-Tonband: 1. Klarinette in A
2. Klarinette in A
3. Klarinette in A
4. Klarinette in A
Elektro-Orgel
Rihm - Die Eroberung von Mexico
Hörbeispiel
Werkeinführung
Die fundamentale Konfrontation zweier Kulturen ist Thema von Wolfgang Rihms Oper Die Eroberung von Mexico. Die Begegnung zwischen dem spanischen Eroberer Hernán Cortéz und dem Aztekenherrscher Montezuma im Jahr 1519 wird als ein Aufeinanderprallen von männlich und weiblich, Verstand und Gefühl, Machtanspruch und Magie dargestellt. Entsprechend ist die Cortéz-Rolle männlich besetzt, die des Montezuma weiblich.
Rihm spaltet dabei als sein eigener Librettist kühn das poetische Material von vier Textquellen – darunter Artauds Theaterentwurf, das Gedicht vom "Urgrund des Menschen" des Mexikaners Octavio Paz und indianische Lyrik.
Rihm verzichtet auf jeden exotischen Folklorismus, die Oper gleicht einem gewaltigen Prisma, das die zersplitterten Texte, Bilder und Klänge auf höherer Ton- und Gedanken-Ebene magisch zusammenkittet: expressive Gesangslinien, Sprech- und Flüsterchöre, rauschhafte Rhythmik, sich Bahn brechende Tonballungen.
Die Musik spielt mit dem Raum, zieht den Zuseher in den Klang hinein, ganz im Sinne Artauds, der sein Publikum „vom Geschehen durchkreuzt“ wissen wollte. Der Zuhörer sieht sich umgeben von einer Klangskulptur, an deren äußersten Rändern mannigfaltig Schlagwerk platziert ist.
Dieses alle Sinne ansprechende Gesamtkunstwerk zeigt Mythos und Kampf. Ein Schlachtengemälde, das zuletzt den bei Salzburger Festspielen szenisch zu aufregenden Lösungen inspirierte. Dennoch schlägt seine oratorienhafte Klarheit in Bann. Ein Klassiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dessen Sujet von bestürzender Aktualität ist: Kulturen, die aufeinander prallen, sich beschädigen, gar vernichten.
Ismael G. Cabral im Interview mit Wolfgang Rihm
Wie stehen Sie 21 Jahre nach der Komposition von Die Eroberung von Mexico zu Ihrem Werk?
Rihm: Ich bin jedes Mal überrascht, wenn ich frühere Werke nach längerer Zeit wieder höre. Manchmal ist es, als hätte in ihnen etwas darauf gewartet, erst Jahre später „erlöst” zu werden und erscheinen zu dürfen. Manchmal scheinen aber auch charakteristische Merkmale wie in einen Schlaf des Verschwundenseins gesunken zu sein. Da ich nicht neben den Werken sitzen bleibe, um sie zu überwachen, bin ich jedes Mal überrascht.
Hat Artauds ursprünglicher Text Ihr Werk beeinflusst?
Rihm: Artauds dramatischer Entwurf ist ja kein Historiendrama, sondern eine Phantasmagorie über Ambivalenz. Daher sein Mantra „männlich-weiblich-neutral”. Schon sind wir mitten in der Musik, die immer schon begonnen hat.
Welchen genauen Moment Ihrer schöpferischen Karriere verkörpert die Komposition?
Rihm: Ich bin nicht der Gegenstand meiner Biographie, sondern ich lebe dieses (= mein) Leben selbst. Daher kann nur ein Biograph diese Frage wirklich beantworten. Ich „erzeuge” mich durch Werke. Diese aber lasse ich los.
Wieso „Musiktheater” und nicht Oper?
Rihm: Der Begriff „Musiktheater” schien mit der umfassendere: Theater aus dem Geist der Musik, Musik aus dem Geist des Theaters. Heute sehe ich das gelassener: man kann auch Oper dazu sagen.
Würden Sie Die Eroberung von Mexico als eines Ihrer avantgardistischsten Werke bezeichnen?
Rihm: Das sollen diejenigen entscheiden, die mein Werk erforschen und dabei mit normierenden Begriffen (wie „Avantgarde” etc.) glauben operieren zu müssen.
Wie stehen Sie zu Pierre Audis Neuinszenierung?
Rihm: Ich verdanke Pierre Audi zwei sehr gelungene Produktionen: Jakob Lenz 1980 in London und Dionysos 2010 in Salzburg. Er ist ein äußerst sorgfältiger Regisseur, der Musik und Szene in einem produktiven Schwebezustand zu halten weiß.
In stimmlicher Hinsicht ähneln sich Die Eroberung von Mexico und Oedipus. Worin unterscheiden sie sich von Ihrem neuesten Musiktheater, Dionysos?
Rihm: Für mich bestehen da gar keine so großen Unterschiede. Es fällt mir leicht, das eine Singen im anderen Singen zu hören.
Das Stück wurde bereits in Mexiko gezeigt, aber noch nicht in Spanien. Denken Sie, dass das spanische Publikum die dramatische Struktur verstehen wird?
Rihm: Aber sicher. Außerdem ist Artaud eine Art „Klassiker” und seine Theaterentwürfe sind sofort als vielschichtige Visionen zu erkennen, denen „Verstehen” im vordergründigen Sinn nicht nahekommen kann.
Sollte sich Spanien für die Eroberung entschuldigen?
Rihm: Für Geschichte kann man sich eigentlich nicht „entschuldigen”. Man kann allenfalls aus ihr lernen. Man muss sie ertragen, aushalten, womöglich an ihr leiden. Aber das ist meine persönliche Auffassung. Ich empfände es als einen Akt von Nachgeborenen-Hybris, für ein Ereignis der Geschichte Entschuldigung zu beanspruchen. Welche Un-Schuld, welche Schuldlosigkeit wäre denn zu erreichen? Und Vergebung wäre keine Bewältigung.
Knapp nach der Eroberung von Mexico in Madrid wird Alejo Perez Jakob Lenz in Köln dirigieren. Gibt es für Sie, ähnlich wie bei Boulez oder Stockhausen, Interpreten, die Ihrer eigenen Ästhetik verbunden sind?
Rihm: Ich bin sehr glücklich, dass ich zu allen Zeiten großartige Interpreten für meine Werke gefunden habe. Dabei war es nie besonders wichtig, ob die betreffenden Künstlerinnen und Künstler meiner Ästhetik verbunden waren. Ich sehe darin auch keine Voraussetzung für eine geglückte Interpretation. Spezialistentum ist eher ein Hindernis beim Entdecken der Komplexität eines Kunstwerks. Wenn zum technischen Können Enthusiasmus, ja Liebe, hinzutreten, ist das natürlich großartig.
Wie werden Cortes und Montezuma, die zwei Hauptfiguren der Oper, dargestellt?
Rihm: Klangsphären. Vokale Charakteristik. Das „Männlich-Weiblich”, Artauds „Mantra”, spielt eine große Rolle. Das Aufeinandertreffen zweier problematischer Sphären, zweier „Kulturen”, die in sich selbst uneins sind, bestimmt die klangliche Wirklichkeit. Es entsteht eine Art Vereinigung der Gegensätze im Zustand unbewusster Konflikte. Fast eine Art Liebesakt.
Wie stehen Sie zu jenen Kritikern, die sie heute als „konservativen Komponisten” bezeichnen?
Rihm: Über mich wurde und wird derart viel und Verschiedenes gesagt, dass ich darin die Versuche erkennen kann, mit einem Werk umzugehen, das sich nicht einordnen lässt. So gesehen hat alles, was gesagt wird einen Wahrheitskern. Dass ich selbst keine Lösungen ausgebe, wie meine Arbeit zu verstehen sei, scheint die Schwierigkeit zu erhöhen. Ich beanspruche kein Schlagwort. Jeder ist auf seine eigene Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit angewiesen. Vielleicht wirkt allein dieser Anspruch „konservativ” um nicht zu sagen „altmodisch”?
Sie haben unter Stockhausen Komposition studiert. Was ist die größte Lektion, die Sie von ihm gelernt haben?
Rihm: Stockhausen interessierte sich auf eine durchaus authentische Weise überhaupt nicht für die Arbeiten seiner Schüler. Er sprach nur von sich, von seiner eigenen Arbeit. Dabei gab es genug zu lernen. Nur einige wenige Male trat er aus seiner großartigen Selbstbezogenheit heraus. Dann aber war seine Botschaft an mich, den er für unbelehrbar, also für „verloren“ hielt, klar: „Rihm, folgen Sie ganz Ihrer inneren Stimme!” Er hat mir das auch einmal geschrieben. Dieser Ermahnung zur Intuition bin ich treu geblieben.
Ismael G. Cabral, Opera Actual