

Wolfgang Rihm
Konzert in einem Satz
Kurz-Instrumentierung: 2 2 2 2 - 2 1 1 0 - Schl, Hf, Str(14 12 10 8 6)
Dauer: 25'
Widmung: Dedicated to Steven Isserlis
Instrumentierungsdetails:
1. Flöte
2. Flöte (+Picc)
Oboe
Englischhorn
1. Klarinette in A
2. Klarinette in A
Fagott
Kontrafagott
1. Horn in F
2. Horn in F
Trompete in C
Posaune
Schlagzeug
Harfe
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello
Kontrabass
Rihm - Konzert in einem Satz für Violoncello und Orchester
Gedruckt/Digital
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Wolfgang Rihm
Rihm: Konzert in einem Satz für Violoncello und OrchesterInstrumentierung: für Violoncello und Orchester
Ausgabeart: Solostimme(n)

Wolfgang Rihm
Rihm: Konzert in einem Satz für Violoncello und OrchesterInstrumentierung: für Violoncello und Orchester
Ausgabeart: Studienpartitur (Sonderanfertigung)
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Hörbeispiel
Werkeinführung
Singen im Extrem
Gesang ist zweifelsohne eine zentrale Kategorie aller Musik. Gesang – in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen – ist auch der Schlüsselbegriff für Wolfgang Rihms neues Cellokonzert. Darauf deuten nicht nur die generelle Satzbezeichnung Allegro moderato e cantabile und die Spielanweisung „cantando” („singend”) beim Einsatz des Soloinstruments hin, sondern auch das nach der ersten Solokadenz einsetzende Arioso und das Ende des Stückes, das mit più tranquillo (molto cantabile) überschrieben ist. Diese Vortragsangaben sind Markierungen innerhalb einer frei strömenden Musik, deren formale Entwicklung ganz wesentlich durch das Solo-Cello angeregt und bestimmt wird. Da der Solist – in unserem Falle Steven Isserlis, dem das Konzert auch gewidmet ist – kaum jemals pausiert und nahezu ununterbrochen an seiner Linie weiterspinnt, entsteht der Eindruck eines großen Gesangs, der gleichsam ins Orchester eingebettet ist.
Die Art, wie das Cello in einen mild-perlenden Grundklang aus Pendelfiguren der hohen Streicher einsetzt und eine schlichte Melodie anstimmt, kann als liedhaft bezeichnet werden; vielleicht lässt dieser Beginn sogar von fern an Schubert denken – etwa an den Beginn der Unvollendeten, wo sich, ebenfalls im Allegro moderato, über typischen Begleitfiguren der Streicher eine vergleichbar klare Melodie der Oboen erhebt. Selten jedenfalls war in Konzertkompositionen Wolfgang Rihms das Verhältnis zwischen Begleitung und instrumentalem Gesang so deutlich ausgeprägt wie in den ersten Takten dieses Konzerts in einem Satz. Sogar die Harfe, die in anderen Orchesterwerken Rihms oft als eine Art Störfaktor eingesetzt wird, unterstützt das einheitliche, geradezu idyllisch wirkende Klangbild. Mit dem Einsatz der Holzbläser verliert sich zwar die Klarheit des Beginns, zumindest im ersten Drittel des Werkes dringt dieser „Urzustand” jedoch immer wieder durch die dichter und erregter werdenden Orchesterballungen.
Kantable Wucherungen und „vox humana”
Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen und Vorstellen von Gesang – auch innerhalb rein instrumentaler Gattungen – bildet mittlerweile einen Hauptzweig in Rihms vielgestaltigem Oeuvre. Einige Titel von Konzerten und Orchesterwerken wie gesungene zeit (für Violine und Orchester), Doppelgesang (für Klarinette, Violoncello und Orchester) oder Ernster Gesang (für Orchester) geben hiervon beredtes Zeugnis. Rihm geht es dabei vor allem um die Intensität und Unmittelbarkeit menschlichen Gesangs, die er ins Instrumentale überträgt und bis in Ausdrucksregionen hineintreibt, die der menschlichen Stimme rein technisch nicht mehr zugänglich sind. In jedem Fall ist sein Begriff von Gesang zentral von der Vorstellung bestimmt, damit ein reiches inneres Geschehen auszudrücken – nie geht es ihm um bloßen Schöngesang, um „Belcanto” im unreflektierten Sinn des Wortes. Deshalb durchsetzt das Kantable die Musik oft wie in pflanzenähnlichen Wucherungen und vermag sich dabei fast immer in den Vordergrund des musikalischen Geschehens zu drängen.
Gesang ist in Wolfgang Rihms Verständnis nicht zu trennen vom typischen Klang des Instruments, das ihn hervorbringt. Auf natürliche Weise tendiert er damit zu einer konzertanten Solo-Tutti-Besetzung, folglich Solist plus Orchester – so auch im Konzert in einem Satz. Hier kommt das charakteristisch breite Klangspektrum des Cellos vor allem durch den extrem aufgefächerten Ambitus zur Geltung: Obwohl auch die tiefsten Lagen des Instruments ausgeschöpft werden, bewegt sich der Solist vorwiegend auf der höchsten, der besonders gesanglich-tragenden A-Saite und dringt dabei bis weit in die dreigestrichene Oktave vor – eine Lage, die selbst für eine Violine hoch wäre und die dem Instrument regelrecht abgerungen wird. Über weite Strecken könnte man denn auch meinen, einem Violinkonzert zu lauschen, wenn nicht das Cello durch seinen großen Resonanzkörper und nicht zuletzt aufgrund der spieltechnischen Schwierigkeiten eine Intensität an den Tag legte, die mit anderen Streichinstrumenten kaum zu erreichen wäre. Diese extremen Lagen verleihen ihm eine besonders intensive „vox humana”, die es auf außergewöhnliche Weise singen lässt.
Besinnung auf die Konzertform
Mit seinem Konzert in einem Satz setzt sich Wolfgang Rihm bereits zum dritten Mal mit der Gattung des Cellokonzerts auseinander. In Monodram. Musik für Violoncello und Orchester (1983) standen klanglich vor allem die dunklen Farben des tiefen Orchesters im Vordergrund, gegen deren rohe Kraft sich das Solocello nur mit größter expressiver Anstrengung durchzusetzen vermochte. Blockhaft gegeneinandergesetzte Ausdrucksbereiche zwischen schmerzlichen Grave-Klängen und überdrehten Ostinato-Figuren bedingten eine Kompositionsweise, bei der auf engen Raum Disparates aufeinander prallte. Für seinen zweiten Beitrag mit dem Titel Styx und Lethe. Musik für Violoncello und Orchester (1998) komponierte Rihm einen rasanten Solopart, dessen stupende Virtuosität vom eher chorisch gesetzten und dabei klar gestaffelten Orchester begleitet wurde. Die unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten der beiden Unterweltsflüsse Styx (über den der Fährmann Charon die toten Seelen in den Hades transportiert) und Lethe (von dem die toten Seelen trinken, um ihre Erlebnisse im oberirdischen Leben zu vergessen) mögen ein Ausgangspunkt für die Komposition gewesen sein, auch wenn sie im Verlauf der Arbeit ganz andere Formen annahm, als der Titel aus der Anfangsphase des Kompositionsprozesses andeutete.
Beim Konzert in einem Satz hat Rihm nun gänzlich auf einen metaphorischen Titel verzichtet. Dieses Werk ist obendrein das erste, das im Untertitel nicht mehr als „Musik für Violoncello und Orchester” bezeichnet wird, sondern bewusst auf das jahrhundertealte Konzept des Konzerts rekurriert. Aus dieser konzertanten Grundform, bei der das Cello zwischen kontrastierenden Teilen vermittelt, resultiert Rihms Bemühen um optimale Durchhörbarkeit – sowohl des Soloparts, der nicht selten als höchste Stimme über dem Orchester liegt, als auch der meist sehr dezenten Instrumentation. Zwei längere Solokadenzen sowie zahlreiche Colla-parte-Stellen, in denen das Orchester das freie Spiel des Solocellos stark ausgedünnt begleitet, tragen ebenso wie das Pausieren des Cellos bei den ungestümeren Orchester-Zwischenspielen zum Eindruck eines Konzertierens im klassischen Sinne bei. Nicht nur dem Titel nach, sondern von seiner gesamten Faktur her erscheint das Stück folglich als dasjenige unter Rihms Werken, das am stärksten mit einem traditionellen Cellokonzert vergleichbar ist.
© Gerald Resch
Verwendung und Abdruck des Textes nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors (Gerald Resch ist freischaffender Autor, Komponist und Musikwissenschaftler und unterrichtet Musikanalyse an der Bruckneruniversität Linz)